Möglichst nicht verordnen: Topiramat bei Frauen im reproduktiven Alter

Mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eine Topiramat-Einnahme in der Frühschwangerschaft mit einem zwei- bis fünffach erhöhten Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten einhergeht.

Dosisabhängige Erhöhung des Risikos für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten

Mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eine Topiramat-Einnahme in der Frühschwangerschaft mit einem zwei- bis fünffach erhöhten Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten einhergeht.

Topiramat findet nicht nur Einsatz als Antiepileptikum, sondern auch in der medikamentösen Migräneprophylaxe und offlabel zur Behandlung bipolarer Störungen. Auch in einer zur Gewichtsreduktion zugelassenen Therapie ist Topiramat enthalten.1 Insbesondere die zur Vorbeugung epileptischer Anfälle gebräuchlichen hohen Dosen stellen ein Risiko für das Ungeborene dar.

Höhere Dosierungen – etwa bei Epilepsie-Patientinnen – besonders kritisch

Eine neue Untersuchung2 der Harvard Universität nutzte Medicaid-Daten von 1,36 Mio. zwischen 2000 und 2010 geborenen Babys und verglich das Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS) bei Müttern, die im ersten Trimester (drei Monate vor der Empfängnis bis zum ersten Schwangerschaftsmonat) Topiramat einnahmen mit jenen, die Lamotrigin einnahmen und solchen, die keiner antiepileptischen Medikation ausgesetzt waren. Lamotrigin ist ebenfalls ein Antiepileptikum und Phasenprophylaktikum, aber strukturell nicht mit Topiramat verwandt. Insgesamt verdreifachte sich für Frauen unter Topiramat im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen das Risiko, ein Kind mit einer LKGS zu entbinden.

In der Allgemeinbevölkerung kommt etwa eines von 1.000 Neugeborenen mit einer LKGS zur Welt. Nach Exposition mit niedrigen Dosen (ca. 100 mg täglich) von Topiramat in utero im ersten Trimester verdoppelt sich diese Zahl auf 2,1 von 1.000. Größere Dosen (200 mg täglich) waren mit einem wesentlich höheren Risiko assoziiert: 12,3 auf 1.000 Lebendgeburten.

Gesamtfehlbildungsrisiko erhöht

Eine Limitation dieser Studie besteht in der Tatsache, dass ausschließlich Lebendgeburten ausgewertet wurden. Schwere kongenitale Fehlbildungen, die zu Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüchen führen, wurden somit nicht erfasst. Die Ergebnisse dieser Studie gehen jedoch mit anderen Untersuchungen konform. Eine große Metaanalyse fand ebenfalls ein mehr als sechsfach erhöhtes LKGS-Risiko nach Topiramat im ersten Trimester (OR 6,26, p = 0,00001).3

Auch andere teratogene Effekte sind seit längerem bekannt – darunter kraniofaziale- und Skelettanomalien, Wachstumsretardierung, Hypospadien und Frühaborte – doch wie die Studie zeigt, wird das Medikament noch immer Tausenden von Frauen im gebärfähigen Alter ohne sichere Kontrazeption verordnet.

Fazit

Epilepsie-Patientinnen unter Topiramat hatten das höchste relative Risiko, ein Kind mit LKGS zu gebären. Frauen im reproduktiven Alter sollte daher kein Topiramat verschrieben werden, wenn der Nutzen die Risiken nicht deutlich überwiegt.

Quellen:
1. Topiramate in early pregnancy increases risk of oral clefts: Study finds that taking a higher dose of the drug in the first trimester increases risk of cleft lip or cleft palate more than taking a lower dose. ScienceDaily. Available at: https://www.sciencedaily.com/releases/2017/12/171228132031.htm. (Accessed: 9th August 2018)
2. Hernandez-Diaz, S. et al. Topiramate use early in pregnancy and the risk of oral clefts: A pregnancy cohort study. Neurology 90, e342–e351 (2018).
3. Alsaad, A. M. S., Chaudhry, S. A. & Koren, G. First trimester exposure to topiramate and the risk of oral clefts in the offspring: A systematic review and meta-analysis. Reprod. Toxicol. Elmsford N 53, 45–50 (2015).

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Dosisabhängige Erhöhung des Risikos für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten

Mehrere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass eine Topiramat-Einnahme in der Frühschwangerschaft mit einem zwei- bis fünffach erhöhten Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten einhergeht.

Topiramat findet nicht nur Einsatz als Antiepileptikum, sondern auch in der medikamentösen Migräneprophylaxe und offlabel zur Behandlung bipolarer Störungen. Auch in einer zur Gewichtsreduktion zugelassenen Therapie ist Topiramat enthalten.1 Insbesondere die zur Vorbeugung epileptischer Anfälle gebräuchlichen hohen Dosen stellen ein Risiko für das Ungeborene dar.

Höhere Dosierungen – etwa bei Epilepsie-Patientinnen – besonders kritisch

Eine neue Untersuchung2 der Harvard Universität nutzte Medicaid-Daten von 1,36 Mio. zwischen 2000 und 2010 geborenen Babys und verglich das Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS) bei Müttern, die im ersten Trimester (drei Monate vor der Empfängnis bis zum ersten Schwangerschaftsmonat) Topiramat einnahmen mit jenen, die Lamotrigin einnahmen und solchen, die keiner antiepileptischen Medikation ausgesetzt waren. Lamotrigin ist ebenfalls ein Antiepileptikum und Phasenprophylaktikum, aber strukturell nicht mit Topiramat verwandt. Insgesamt verdreifachte sich für Frauen unter Topiramat im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen das Risiko, ein Kind mit einer LKGS zu entbinden.

In der Allgemeinbevölkerung kommt etwa eines von 1.000 Neugeborenen mit einer LKGS zur Welt. Nach Exposition mit niedrigen Dosen (ca. 100 mg täglich) von Topiramat in utero im ersten Trimester verdoppelt sich diese Zahl auf 2,1 von 1.000. Größere Dosen (200 mg täglich) waren mit einem wesentlich höheren Risiko assoziiert: 12,3 auf 1.000 Lebendgeburten.

Gesamtfehlbildungsrisiko erhöht

Eine Limitation dieser Studie besteht in der Tatsache, dass ausschließlich Lebendgeburten ausgewertet wurden. Schwere kongenitale Fehlbildungen, die zu Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüchen führen, wurden somit nicht erfasst. Die Ergebnisse dieser Studie gehen jedoch mit anderen Untersuchungen konform. Eine große Metaanalyse fand ebenfalls ein mehr als sechsfach erhöhtes LKGS-Risiko nach Topiramat im ersten Trimester (OR 6,26, p = 0,00001).3

Auch andere teratogene Effekte sind seit längerem bekannt – darunter kraniofaziale- und Skelettanomalien, Wachstumsretardierung, Hypospadien und Frühaborte – doch wie die Studie zeigt, wird das Medikament noch immer Tausenden von Frauen im gebärfähigen Alter ohne sichere Kontrazeption verordnet.

Fazit

Epilepsie-Patientinnen unter Topiramat hatten das höchste relative Risiko, ein Kind mit LKGS zu gebären. Frauen im reproduktiven Alter sollte daher kein Topiramat verschrieben werden, wenn der Nutzen die Risiken nicht deutlich überwiegt.

Quellen:
1. Topiramate in early pregnancy increases risk of oral clefts: Study finds that taking a higher dose of the drug in the first trimester increases risk of cleft lip or cleft palate more than taking a lower dose. ScienceDaily. Available at: https://www.sciencedaily.com/releases/2017/12/171228132031.htm. (Accessed: 9th August 2018)
2. Hernandez-Diaz, S. et al. Topiramate use early in pregnancy and the risk of oral clefts: A pregnancy cohort study. Neurology 90, e342–e351 (2018).
3. Alsaad, A. M. S., Chaudhry, S. A. & Koren, G. First trimester exposure to topiramate and the risk of oral clefts in the offspring: A systematic review and meta-analysis. Reprod. Toxicol. Elmsford N 53, 45–50 (2015).

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Text:
Dr. Sophie Christoph
Foto:
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Kommentare

  • Arzt364

    Diese Zahlen sind im Angesicht der bereits lange bekannten Risiken bei Topiramat für die Schwangerschaft eigentlich erschreckend. Gucken denn so wenige Ärzte nach bekannt werden der Schwangerschaft die Medikamentenliste durch, um genau solche Störenfriede zu identifizieren?! Ist es denn zu viel verlangt bei der Medikamentenvergabe an Frauen im gebärfähigen Alter an die Möglichkeit einer Schwangerschaft zu denken?! Eigentlich ist diese Nachricht viel mehr ein Skandal als eine neuer Erkenntnis zu einem Medikament. Dabei ist es doch heute dank Internet-Seiten wie Embryotox und Co. wirklich ein Leichtes Medikamente auf ihr fruchtschädogendes Potanital zu überprüfen. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen insofern allenfalls noch einmal das hohe teratogene Risiko von Topiramat. Höhere Dosierungen des Medikaments sollten debei Frauen im gebärfähigen Alter schlicht vermieden werden. Topiramat ist immerhin bei all seinen Indikationen meist nicht alternativlos. Die Studie zeigt jedoch auch, dass eine niedrig-dosierte Therapie bei bipolaren Störungen oder zur Migräne-Prophylaxe nicht unbedenklich sind.