Dienogest/Ethinylestradiol: Nutzen bekannt – Risiko jetzt auch
Für orale Kontrazeptiva mit der Kombination Dienogest/Ethinylestradiol, die auch zur Akne-Behandlung zugelassen sind, liegt mittlerweile eine offizielle Einschätzung des Risikos venöser Thromboembolien vor. Worauf basiert sie und was steht nun in der Fachinformation?
Um den letzten Jahreswechsel herum wurden zwei Rote-Hand-Briefe vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlicht, die die hormonelle Kontrazeption betreffen: einer zur Hinweis-Pflicht bezüglich Suizidalität, der andere zum Risiko für venöse Thromboembolien bei Anwendung von Dienogest/Ethinylestradiol-Präparaten (PDF-Link). Bislang reichte die verfügbare Evidenz zu einer bezifferbaren Risikoeinschätzung laut BfArM nicht aus, weitere Daten wurden erwartet – und liegen nun vor.
Dienogest: Gestagen der vierten Generation mit pharmakologischen Vorteilen
Dienogest (DNG) ist ein hybrides synthetisches Gestagen der vierten Generation, das einige substanzspezifische pharmakologische Vorteile aufweist: u. a. eine hohe orale Bioverfügbarkeit; eine zuverlässige ovulationshemmende und eine starke endometriale Wirksamkeit; keine östrogene oder androgene, dafür eine ausgeprägte antiandrogene Wirkungskomponente.1
In Kombination mit Ethinylestradiol (EE) ist Dienogest nicht nur zur oralen Kontrazeption, sondern auch – als weitere Besonderheit – zur Behandlung von mittelschwerer Akne zugelassen. In dieser eigenständigen Indikation kommt DNG/EE (z. B. Aristelle®: Dienogest 2 mg / Ethinylestradiol 0,03 mg) bei Frauen zum Einsatz, denen geeignete topische Therapien oder orale Antibiotika nicht geholfen haben, und die zeitgleich eine orale Kontrazeption wünschen.2 Der (Zusatz-) Nutzen als Akne-Therapeutikum wurde von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) im Rahmen einer Neubewertung vor knapp zwei Jahren in Verbindung mit einer Anwendungsbeschränkung bestätigt und vom BfArM weiter kommuniziert.3
Damals teilte die Behörde mit: „Die zurzeit verfügbaren Sicherheitsdaten lassen keine neuen Sicherheitsbedenken erkennen. Jedoch gibt es bis heute nur unzureichende Daten, um das relative Risiko von venösen Thromboembolien (VTE) gegenüber anderen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva, die andere Gestagene enthalten, genau zu bestimmen.“ Im betreffenden Assessment Report der EMA4 findet sich der Hinweis auf eine zu erwartende „zusätzliche Metaanalyse“ zum VTE-Risiko bei DNG/EE. Auf diese „Metaanalyse von vier Beobachtungsstudien“ nimmt der in Abstimmung mit BfArM und EMA vom Pharmaunternehmen Jenapharm vorgelegte Rote-Hand-Brief5 Bezug. Eine Quellenangabe findet sich nicht, die Publikation der Studienergebnisse steht offenbar noch aus.
Bisher unveröffentlichte Metaanalyse von vier Beobachtungsstudien zu DNG/EE
Es geht dabei um eine Auswertung der folgenden vier Beobachtungsstudien:
- International Active Surveillance Study – Safety of Contraceptives: Role of Estrogens (INAS-SCORE)
- Long-term Active Surveillance Study for Oral Contraceptives (LASS)
- International Active Surveillance Study of Women Taking Oral Contraceptives (INAS-OC)
- Transatlantic Active Surveillance on Cardiovascular Safety of Nuvaring (TASC)
Die Autoren des EMA-Sachstandsberichts weisen auf eine Limitation der vier Studien hin: Keine von ihnen war ursprünglich dafür konzipiert, VTE-Inzidenzraten zwischen DNG/EE und LNG/EE zu vergleichen.4
Im Rote-Hand-Brief heißt es: „Bei allen vier Studien in der Metaanalyse handelt es sich um große, kontrollierte, prospektive Beobachtungsstudien, in denen jeweils mehrere Kohorten beobachtet wurden. Insgesamt umfasste die Analyse Daten von 228.122 Anwenderinnen hormonaler Kontrazeptiva. Die europäischen Studienteilnehmer verwendeten DNG/EE bzw. LNG/EE (nur Präparate mit 30 μg EE) über 38.708 Frauenjahre bzw. 45.359 Frauenjahre.“
Ergebnis: leicht erhöhtes VTE-Risiko
Als Ergebnis findet sich die Assoziation eines „leicht (1,6-fach)“ erhöhten VTE-Risikos für KHK mit DNG/EE im Vergleich zur LNG/EE-Kombination.5 Darauf wird nun in der Fachinformation der entsprechenden Präparate wie Aristelle® hingewiesen.
Der Rote-Hand-Brief enthält auch eine Tabelle zum VTE‐Risiko kombinierter hormoneller Kontrazeptiva mit der neuen Risikoeinschätzung zu Dienogest (fett gedruckt):
Gestagen im KHK (EE‐haltiges Kombinationspräparat, sofern nicht anders angegeben
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Relatives Risiko im Vergleich zu Levonorgestrel
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Geschätzte Inzidenz (pro 10.000 Frauen und Anwendungsjahr)
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nichtschwangere Nichtanwenderinnen
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-
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2
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Levonorgestrel
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Referenz
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5-7
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Norgestimat/Norethisteron
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1,0
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5-7
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Dienogest
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1,6
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8–11
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Gestoden/Desogestrel/Drospirenon
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1,5–2,0
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9–12
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Etonogestrel/Norelgestromin
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1,0–2,0
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6–12
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Chlormadinon/Nomegestrolacetat (E2)
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noch zu bestätigen*
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noch zu bestätigen*
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*Zur Erhebung von aussagekräftigen Risiko-Daten für Estradiol-haltige KHK mit Chlormadinon oder Nomegestrolacetat werden weitere Studien durchgeführt.
Die Mortalität der VTE liegt bei 1–2 %. Sie treten überwiegend als tiefe Beinvenenthrombosen in Erscheinung, seltener als Lungenembolien, die am ehesten durch einen verschleppten Beinvenenthrombus entstehen. Äußerst selten wurde bei der KHK-Anwendung von Thrombosen in anderen Blutgefäßen berichtet (z. B. hepatische, mesenterische, renale oder retinale Venen oder Arterien). Zu den bekannten und in der Fachinformation aufgeführten VTE-Risikofaktoren zählen Adipositas, längere bzw. vorübergehende Immobilisierung, familiäre Vorbelastung (ggf. Überweisung zur Beratung durch einen Spezialisten!), andere VTE-assoziierte Erkrankungen und zunehmendes Alter.2
Rote-Hand-Brief und Fachinformation weisen explizit darauf hin, dass die potenzielle Anwenderin vor der Entscheidung für oder gegen ein KHK, das nicht zur Gruppe derer mit dem geringsten VTE-Risiko gehört, im ärztlichen Gespräch über folgende Punkte aufgeklärt werden sollte:
- VTE-Risiko des KHK;
- Beeinflussung durch die individuell vorliegenden Risikofaktoren;
- höchstes Risiko im ersten Anwendungsjahr sowie bei Wiederaufnahme nach mindestens vierwöchiger Anwendungspause.
VTE-Risiko hängt vor allem an der Östrogen-Dosis
Die VTE-Gefahr geht bei KOK in erster Linie von der Östrogen-Dosis aus und wird vom verwendeten Gestagen modifiziert.6–8 Bei Gestagen-Monopräparaten zeigte sich dagegen in epidemiologischen Studien kein erhöhtes VTE-Risiko, weshalb bei Risikopatientinnen diese Option empfohlen wird.7–9
Es bleibt festzuhalten: Bei Abwesenheit individueller Risikofaktoren ist das absolute VTE-Risiko bei KOK-Anwendung gering, was etwa im Vergleich zur Situation von Frauen in der Schwangerschaft bzw. postpartal mit VTE-Raten von 20 bzw. 40–65 pro 10.000 Frauenjahren deutlich wird.8,10 Bei der Nutzen-Risiko-Abwägung und der Kommunikation mit der Patientin stehen die absoluten Zahlen im Vordergrund. Bei den meisten Frauen überwiegt der mit dem KHK-Gebrauch verbundene Nutzen das Risiko, worauf auch der Rote-Hand-Brief hinweist.5
Die Autoren eines Reviews mit einer 22 Arbeiten umfassenden Metaanalyse kamen im vergangenen Jahr ebenfalls auf gepoolte Risiko-Erhöhungen im Bereich von 1,5–2,0 (bzw. etwas niedriger nach Adjustierung auf Studiencharakteristika). Ihre Schlussfolgerung: „Die Anwendung von KOK mit einem anderen Progesteron als LNG könnte mit einer leichten Erhöhung des VTE-Risikos im Vergleich zu LNG-haltigen KOK assoziiert sein.“11
Im WHO-Kriterienkatalog für die Kontrazeptiva-Anwendung werden die absoluten Risiko-Differenzen als „sehr klein“ bewertet. Bei den Empfehlungen zur Auswahl von niedrig dosierten KOK (≤ 35 µg EE) wird deshalb nicht nach der Art des Gestagens unterschieden.12
Fazit:
Die Auswahl eines geeigneten Kontrazeptivums richtet sich nach dem Wunsch der Patientin nach sicherer Verhütung sowie ihren Präferenzen für eine bestimmte Methode und möglicherweise für zusätzliche Nutzeffekte (z. B. bezüglich Hautgesundheit oder Behandlung zyklusabhängiger Beschwerden). Zudem spielt das Risikoprofil der Anwenderin eine wichtige Rolle, das regelmäßig neu zu beurteilen ist. Schließlich sind auch sicherheitsrelevante Aspekte wie die Unterschiede zwischen den Präparaten bezüglich des VTE-Risikos zu berücksichtigen.
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KOK mit Akne-Zulassung: Aristelle® (0,03 mg Ethinylestradiol / 2 mg Dienogest)
- Bartsch V. Gynäkologische Anwendungen von Dienogest alleine und in Kombination mit Östrogenen. J Med Drug Rev 2015;5:1-31
- Fachinformation Aristelle 0,03 mg/2 mg Filmtabletten, Stand: März 2019
- Dienogest 2 mg und Ethinylestradiol 0,03 mg: Anwendung bei Akne möglich, wenn bestimmte andere Behandlungen nicht wirksam sind. Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 18.04.2017 (bfarm.de; Zugriff am 10.10.2018)
- Dienogest/ethinylestradiol containing medicinal products indicated in acne. Assessment report EMA/174401/2017. Procedure no: EMEA/H/A-31/1435. European Medicines Agency, 2017
- Rote-Hand-Brief zu dienogest- und ethinylestradiolhaltigen Kontrazeptiva: Risiko venöser Thromboembolien. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 11.12.2018 (bfarm.de; Zugriff am 14.08.2019)
- Dinger J. Oral contraceptives and venous thromboembolism: old questions revisited.J Fam Plann Reprod Health Care 2009;35(4):211-3
- Lidegaard Ø et al. Hormonal contraception and venous thromboembolism. Acta Obstet Gynecol Scand 2012;91(7):769-78
- Klein F. Thromboserisiko: Östrogen ist der Bösewicht! CME 2017;14(4):39.
- Lidegaard Ø. Hormonal contraception, thrombosis and age. Expert Opin Drug Saf 2014;13(10):1353-60
- Dinger J et al. Cardiovascular risks associated with the use of drospirenone-containing combined oral contraceptives. Contraception 2016;93(5):378-85
- Dragoman MV et al. A systematic review and meta‐analysis of venous thrombosis risk among users of combined oral contraception. Int J Gynaecol Obstet 2018;141(3):287-94. doi:10.1002/ijgo.12455
- WHO. Medical elegibility criteria for contraceptive use. 5th ed. Geneva, 2015. ISBN 9789241549158
Abkürzungen:
BfArM = Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
BMI = Body Mass Index
DNG = Dienogest
E2 = Estradiol
EE = Ethinylestradiol
EMA = Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency)
KHK = kombinierte hormonelle Kontrazeptiva
LNG = Levonorgestrel
KOK = kombinierte orale Kontrazeptiva
VTE = venöse Thromboembolien