Hormonelle Kontrazeption und Psyche: Warnhinweis als Beratungsimpuls

Erhöht die Pille das Risiko für Depression und Suizidalität? Der neue Warnhinweis in Beipackzetteln und Fachinformationen bedeutet keinen Erkenntnisgewinn.

Im November 2018 hat das BfArM in einer Mitteilung über die Einführung eines Warnhinweises zur Suizidalität in den Beipackzetteln und Fachinformationen aller hormonellen Kontrazeptiva informiert. Am 21. Januar 2019 erschien dazu ein Rote-Hand-Brief.1 Bereits einige Tage zuvor wurde hier im Infocenter in einem Beitrag zur Hinweis-Pflicht über die neuen Studienergebnisse aus Dänemark2 und den fehlenden Kausalzusammenhang berichtet.

Dänische Studien: Berufsverband und Fachgesellschaft beziehen klar Stellung

Kurz nach Veröffentlichung des Rote-Hand-Briefs äußerten sich die gynäkologische Fachgesellschaft (DGGG) und der Berufsverband (BVF), vereint im German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG), mit einer Pressemitteilung zur Causa.3 Der Tenor: Die beiden dänische Kohortenstudien2,4, auf die sich der für das BfArM ausschlaggebende Warnhinweis der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA)5 stützt, belegen allenfalls einen zeitlichen, aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva und einem erhöhten Risiko für Depression und Suizid.

„Diese dänischen Studien haben so erhebliche methodische Fehler, dass sie wertlos sind“, resümieren BVF-Präsident Dr. Christian Albring und DGGG-Präsident Prof. Anton Scharl in der Pressemitteilung. Die sieben „wesentlichen Kritikpunkte“ betreffen zusammengefasst:

Auch die EMA sieht aufgrund der Limitierung der verfügbaren Daten keinen eindeutigen Kausalzusammenhang, möchte aber mit dem Warnhinweis „Angehörige der Heilberufe dafür sensibilisieren, ihre Patientinnen entsprechend aufzuklären“ und die Anwenderinnen „informieren, ihren Arzt aufzusuchen, sobald Stimmungsänderungen und depressive Symptome auftreten.“1

Wechselspiel zwischen Psyche und hormoneller Kontrazeption

Letztlich geht es also nicht um wirklich neue Erkenntnisse, wohl aber um die adäquate Beachtung des komplexen Wechselspiels zwischen hormoneller Kontrazeption und psychischer Verfassung, das eine ebenso einfühlsame wie umfassende ärztliche Beratung erforderlich macht.

Ein besonderes Augenmerk sollte dabei angesichts aktueller Fakten auf die Zielgruppe der sehr jungen Anwenderinnen gelegt werden:

Beratungsrelevant: die absoluten Risiken

Die Wirkungen der hormonellen Verhütung auf die Psyche sind komplex, individuell sehr verschieden und auch vom jeweiligen Präparat abhängig. Die Studienlage ist bisher widersprüchlich, es wurden sowohl positive als auch negative Einflüsse hormoneller Kontrazeptiva auf die Stimmung gezeigt. Die Beratung zu psychischen Nebenwirkungen ist schwierig, darf aber keineswegs zugunsten der Aufklärung über die häufigeren körperlichen Symptome wie Kopfschmerzen oder Zwischenblutungen vernachlässigt werden.

Gleichzeitig ist für die Auswahl der geeigneten Verhütungsmethode die Erfassung und Berücksichtigung der psychischen Verfassung der Patientin essenziell. Auch bei jungen Mädchen ist mit einem ähnlich häufigen Auftreten von depressiven Symptomen zu rechnen wie bei erwachsenen Frauen. Zwar können hormonelle Kontrazeptiva eine bestehende Depression verstärken, worauf dann umgehend zu reagieren ist. Dies kommt aber eher selten vor, wie die dänischen Studiendaten zeigen – ganz im Gegensatz zu den (auch depressionsverstärkenden) Problemen durch eine ungewollte Schwangerschaft.

Während die in den Medien nahezu ausschließlich kolportierte Angabe der relativen Risiken potenziell eine beunruhigende Wirkung auf Anwenderinnen und Ärzte ausübt, lassen sich die ermittelten absoluten Risiken für das gynäkologische Beratungsgespräch durchaus nutzen:

Fazit: gute Beratung sichert den Verhütungsschutz

Aus gynäkologischer Sicht – und im Interesse gerade der sehr jungen Anwenderinnen – ist ein zuverlässiger Kontrazeptionsschutz oberstes Gebot. Noch belegt die Antibaby-Pille bei den Adoleszentinnen zwischen 14 und 19 Jahren mit 86 % unangefochten den ersten Platz auf der Rangliste der Verhütungsmethoden (Kondome: 4 %).11 Laut Arzneimittelverordnungs-Report 2018 hat die Nutzung oraler Kontrazeptiva bei Frauen bis zum 20. Lebensjahr um 3,3 % im Vergleich zum Vorjahr abgenommen.12 Während in den Medien überwiegend die Nachteile der Antibaby-Pille in den Vordergrund gerückt werden, sind mehr als der Hälfte der Jugendlichen weder die Wirkweise noch die weiteren Vorteile der Pille bekannt.11

Die Aufklärung über Alternativen zur Pille ist tägliches Brot in der gynäkologischen Praxis, die Herausforderung besteht in der individuell optimierten Beratung für die jeweils beste und sicherste Option. In einem Großteil der Fälle wird das auch weiterhin nach kritischer Würdigung aller relevanter Faktoren und Bedürfnisse die orale Kontrazeption sein. Am empathischen Nachfragen und einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Gynäkologin und Anwenderin hängt es dann, dass Probleme mit der Pille – seien sie psychischer oder anderer Natur – frühzeitig zur Sprache kommen und behoben werden können. Denn bedeutender als eine Depressionsgefahr durch die Pille erscheint die Gefährdung der sicheren Kontrazeption durch eine Depression und deren Auswirkungen auf die Adhärenz.

Referenzen:

  1. Rote-Hand-Brief zu hormonellen Kontrazeptiva: Neuer Warnhinweis zu Suizidalität als mögliche Folge einer Depression unter der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), 21.01.2019.
  2. Skovlund CW et al. Association of Hormonal Contraception With Suicide Attempts and Suicides. Am J Psychiatry 2018;175(4):336-42. doi: 10.1176/appi.ajp.2017.17060616
  3. German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG). Selbstmord durch Pille – das ist falsch. Pressemitteilung vom 25.02.2019. https://www.dggg.de/fileadmin/user_upload/2019-01-25-GBCOG-Pressemitteilung.pdf (Zugriff am 19.07.2019)
  4. Skovlund CW et al. Association of Hormonal Contraception With Depression. JAMA Psychiatry 2016;73(11):1154-62. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.2387.
  5. PRAC recommendations on signals. EMA/PRAC/689235/2018. https://www.ema.europa.eu/documents/prac-recommendation/prac-recommendations-signals-adopted-1-4-october-2018-prac-meeting_en.pdf (S. 6)
  6. Robert-Koch-Institut zum Weltgesundheitstag 2017: Daten und Fakten zu Depressionen. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/D/Depression/Daten_Fakten/daten_fakten_depressionen_inhalt.html (zitiert nach 2.)
  7. Deutsche Gesellschaft für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) et al. S2k-Leitlinie Suizidalität im Kindes-und Jugendalter. AWMF-Register Nr. 028/031. Stand: 05/2016. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-031.html
  8. Steffen A et al. Zeitliche Trends in der Diagnoseprävalenz depressiver Störungen: eine Analyse auf Basis bundesweiter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten der Jahr 2009 bis 2017. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 19/05. Berlin 2019. doi:10.20364/VA-19.05
  9. Wartberg L et al. Depressive Symptomatik bei Jugendlichen. Dtsch Arztebl Int 2018;115:549-55
  10. Zettermark Set al. Hormonal contraception increases the risk of psychotropic drug use in adolescent girls but not in adults: A pharmacoepidemiological study on 800 000 Swedish women. PLoS One 2018;13(3):e0194773. doi:10.1371/journal.pone.0194773
  11. Oppelt PG et al. Verhütungssituation von Adoleszentinnen in Deutschland. Geburtshilfe Frauenheilkd 2018;78(10): 999-1007. doi:10.1055/a-0684-9838
  12. Schwabe U et al (Hrsg). Arzneiverordnungs-Report 2018. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2018

Abkürzungen:
BfArM = Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
BVF = Berufsverband der Frauenärzte
DGGG = Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
EMA = Europäische Arzneimittelagentur (European Medicines Agency)
GKV = Gesetzliche Krankenversicherung
PRAC = Pharmacovigilance Risk Assessment Committee
ZI = Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland