AID-Systeme bei Kindern mit Typ-1-Diabetes: Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Keine blutigen Glukosemessungen mehr, nie wieder Spritzen: Moderne AID-Systeme können den Alltag von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes erheblich verbessern. Unmittelbar nach der Diagnose können sie jedoch auch überfordern.

Potenzial von AID-Systemen

Systeme zur automatischen Insulindosierung (AID)

Klare S3-Leitlinien-Empfehlung für AID

„Ein AID-System sollte allen Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes und Insulinpumpentherapie angeboten werden“, so das klare Plädoyer in der S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. Tatsächlich trägt bereits heute jedes dritte Kind mit Typ-1-Diabetes in Deutschland ein solches Closed-Loop-System. Unklar bleibt jedoch, wann der ideale Zeitpunkt für den Einsatz eines solchen Systems ist.

AID senkt HbA1c um 1 % 

Auf der einen Seite stehen die unzweifelhaften Vorteile beim Blutzuckermanagement, wie sie eingangs aufgezählt wurden. Aus bisherigen Untersuchungen geht hervor, dass die Pumpen mit automatischer Insulinabgabe nahezu alle glykämischen Parameter verbessern. So erhöhten sie – unmittelbar nach Diagnosestellung angelegt – in einer Studie die Zeit im Zielbereich um 14 %, senkten den mittleren Glukosewert um 30 mg/dl und den HbA1c um 1 %. Darüber hinaus können AID-Systeme die Lebensqualität aller Beteiligten steigern, indem sie die Schlafqualität der Kinder verbessern und den Eltern ein Stück weit ihre Sorgen nehmen.

Allerdings hat der technische Fortschritt auch seinen Preis – moderne Systeme sind erklärungsbedürftig und erfordern umfassende Schulungen. Darüber hinaus verlangt sie den Betroffenen und ihren Angehörigen einiges ab. Nicht jeder ist technisch versiert und bringt das nötige Verständnis auf. Hinzu kommen oft noch Sprachbarrieren, die die Vermittlung erschweren. 

Krankheitsverarbeitung kann zu kurz kommen 

Vor allem aber ist die Diagnose für die meisten Familien zu Beginn ein Schock, sie verunsichert und überfordert. In der ersten Zeit sind die kognitiven Kapazitäten daher in der Regel begrenzt. Primäres Ziel des stationären Erstaufenthaltes sollte es sein, den Familien dabei zu helfen, die Erkrankung zu akzeptieren. Genau dabei können hochtechnisierte Systeme jedoch im Wege stehen. Wer laufend auf das Smartphone fixiert ist, um Blutzuckerwerte zu checken und die Stoffwechseleinstellung zu optimieren, kommt womöglich gar nicht dazu, sich mit der eigentlichen Erkrankung und deren Folgen zu befassen. Die ständige Sichtbarkeit der Glukosekurve auf dem Bildschirm sowie der offensichtliche Sensor und Katheter machen die Erkrankung allgegenwärtig und verschleiern sie zugleich. Denn Diabetes bedeutet mehr als einen rein technischen Betriebsausfall.

Moderne Technologien sind aus der Versorgung von Menschen mit Diabetes heute nicht mehr wegzudenken. Gerade für Kinder und Jugendliche bieten sie eine große Freiheit und Sicherheit. Je besser die Blutzuckerkontrolle, umso weniger Komplikationen und Spätfolgen drohen im höheren Lebensalter. Daher waren sich beim DDG-Kongress auch alle Experten einig, dass die Versorgung von jungen Typ-1-Diabetikern mit AID-Systemen in den nächsten Jahren rapide ansteigen und zur künftigen Standardtherapie werden wird.  

AID-Systeme bieten viele Vorteile, aber der optimale Zeitpunkt für die Einführung hängt von individuellen Faktoren ab – darunter die Krankheitsverarbeitung, die technische Affinität der Familie und der Schulungsaufwand. Die Entscheidung sollte daher individuell im Behandlungsteam getroffen werden.

Quellen:
  1. Biester, Torben (Hannover), Ziegler, Julian (Tübingen): AID bei Manifestation: Pro und Contra. Session Neue Optionen für Kinder mit Diabetes: AID und seine Aspekte, Diabetes Herbsttagung 2024, Hannover, 22.-23.11.2024.
  2. Boughton CK et al., N Engl J Med 2022; 387: 882-893.
  3. Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG): S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Registernummer: 057-016, Version 4, 2023.