Wochenrückblick: KBV fordert kompletten Neustart für Gesundheitsgesetze
Die KBV verlangt einen kompletten Neustart der Gesundheitsgesetze und adressiert gescheiterte Reformen. Ein Pakt für die Selbstverwaltung soll entstehen.
Neustart der Gesundheitsgesetze: KBV fordert Umbruch
Vor dem Hintergrund vorgezogener Neuwahlen Ende Februar hat der Vorstandsvorsitzende der KBV Dr. Andreas Gassen, am Freitag vor der Vertreterversammlung einen grundlegenden Neustart der Gesundheitsgesetzgebung gefordert. Mit Blick auf die Bilanz der gescheiterten Ampel warf Gassen Bundesgesundheitsminister Lauterbach Wortbruch wegen der nicht beschlossenen Entbudgetierung hausärztlicher Honorare vor. Der KBV-Chef schlug einen „Pakt für die Selbstverwaltung“ von Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und Kliniken vor. Dazu werde die KBV in den nächsten Wochen auf alle Partner aktiv zugehen.
Die Vertreterversammlung verabschiedete einen Katalog von sechs Forderungen an die Gesundheitspolitik der nächsten Legislaturperiode:
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Selbstverwaltung als tragende Säule: Zunehmende politische Eingriffe in die Selbstverwaltung sowie überbordende Bürokratie haben die Freiheit der Berufsausübung in den letzten Jahren zunehmend eingeschränkt. Elementare Voraussetzung für das Vertrauen von Patienten in die Gesundheitsversorgung seien die Sicherung und das Bekenntnis zur Freiberuflichkeit als Grundprinzip einer freien Gesellschaft. Notwendig sei daher ein „Pakt für die Selbstverwaltung“ als Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip.
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Verlässliche Gesundheitspolitik: Der Aufbau weiterer Institute und Behörden müssen unterbleiben. Notwendig sei die Durchsetzung des Prinzips „ambulant vor stationär“. Aus- und Weiterbildung von Ärzten bedürfen einer weiteren gesetzlichen Flankierung, insbesondere für die Förderung der ambulanten Weiterbildung. Die 2013 beschlossene Reform der Approbationsordnung müsse umgesetzt werden.
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Sicherung der Finanzierung und von Innovationen: Die gesetzlichen Grundlagen zur Finanzierung der Gesundheitsversorgung müssen angesichts neuer Herausforderungen weiterentwickelt werden. Bei einer Steigerung der Gesundheitsausgaben um 48 Prozent in den letzten zehn Jahren verharre das Finanzvolumen des Gesundheitsfonds seit 2014 auf einem konstanten Niveau. In den ersten hundert Tagen der neuen Bundesregierung sei eine Analyse der GKV-Finanzen notwendig, mit dem Ziel, sachfremde Verwendung von Finanzmitteln abzuschaffen und gleiche Vergütung für Leistungen von Ärzten/Psychotherapeuten in Praxen und der Krankenhäuser zu finanzieren.
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Praxistaugliche Digitalisierung: Die Ressource Zeit wird kostbarer denn je. Daher stehe die Ärzteschaft einer nutzbringenden und anwenderorientierten Digitalisierung und der Nutzung von KI gegenüber. Notwendig sei dazu die Ablösung von Sanktionen durch Anreize, Verzicht auf überzogene Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen, respektvoller Umgang und Umsetzung des Bürokratieentlastungsgesetzes. Notwendig sei in den hundert Tagen die Erarbeitung von Eckpunkten für ein Praxiszukunftsgesetz.
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Patientensteuerung: Vor dem Hintergrund zunehmenden Fachkräftemangels und hoher Fehlinanspruchnahme insbesondere in der Notfallversorgung müssten Instrumente wie Ersteinschätzungsverfahren für eine verbindliche Patientensteuerung eingeführt werden. Dazu müssten auch Versicherte in die Verantwortung genommen werden.
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„Leistung muss sich lohnen“: Versorgungsfeindliche Elemente der Vergütung wie die Budgetierung müssten abgeschafft werden. Die Vergütung müsse berücksichtigen, dass immer mehr Leistungen von Teams auch in Form von Delegation erbracht werden.
Drittes Quartal: Kassen rutschen weiter ins Defizit
Aufgrund anhaltend hoher Ausgabensteigerungen im dritten Quartal ist das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen in den ersten neun Monaten 2024 weiter gestiegen und erreichte 3,7 Milliarden Euro. Die Finanzreserven der Kassen sind damit aufgezehrt, sie betragen zum 30. September 4,7 Milliarden Euro und liegen mit 0,17 Monatsausgaben unter dem gesetzlichen Soll von 0,2 Monatsausgaben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach führt den hohen Ausgabenanstieg auf Inflation, starke Personalkostensteigerungen, medizinische Leistungen, aber auch auf ineffiziente Strukturen angesichts eines über zehn Jahre aufgebauten Reformstaus zurück.
Die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds schrumpfte in den ersten neun Monaten um 7,7 Milliarden Euro und liegt aktuell noch bei 1,7 Milliarden Euro. Allerdings führt die Verbeitragung von Sonderzahlungen typischerweise wieder im vierten Quartal zu einem Aufbau der Reserve.
Die Beitragseinnahmen des GKV-Systems stiegen um 5,6 Prozent, die Leistungsausgaben jedoch um 7,8 Prozent. Die Ausgabenentwicklung verlief in nahezu allen Leistungsbereichen mit Ausnahme der Zahnärzte dynamisch:
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Krankenhäuser: Der Anstieg der Ausgaben von 7,8 Prozent beruht nach Angaben des BMG auf einer dynamischen Entwicklung der Basisfallwerte und der vollen Erstattung der Pflegepersonalkosten. Die Ausgaben für Leistungen nach dem AOP-Katalog sowie die neu eingeführten Hybrid-DRTG beliefen sich zusammen auf eine Milliarde Euro.
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Arzneimittel: Der hohe Anstieg von 9,9 Prozent ist teilweise bedingt durch das Auslaufen des auf 2023 beschränkten von 7 auf 12 Prozent erhöhten Abschlags begründet. Das erklärt rund 870 Millionen Euro der insgesamt um 3,7 Milliarden Euro gestiegenen Ausgaben. Eine weitere Ursache ist der Ausbau der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, in deren Rahmen 740 Millionen Euro für Arzneimittel verausgabt wurden, ein Zuwachs von 49,9 Prozent.
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Ambulante ärztliche Versorgung: Der Zuwachs liegt bei 6,4 Prozent oder 2,2 Milliarden Euro. Ursächlich sind die neuen Hybrid-DRGs (84 Millionen Euro) und die Ausweitung ambulanter Operationen (10 Prozent oder 169 Millionen Euro) sowie die ASV mit einem Zuwachs von 24,5 Prozent oder 84 Millionen Euro. Diese Zahlen sind allerdings noch vorläufig und beruhen teilweise auf Schätzungen. Bei einem differenzierten Blick zeigt sich also, dass der Ausgabenanstieg auch auf einen politisch gewollten Ambulantisierungseffekt zurückzuführen ist, der aber nicht zu einer Entspannung in der stationären Versorgung beiträgt.
- Die Ausgaben für Heilmittel (plus 10,1 Prozent), Behandlungspflege und häusliche Krankenpflege (plus 12,3 Prozent) und Reha (plus 10,0 Prozent) stiegen alle im zweistelligen Bereich.
Vor dem Hintergrund der Ausgabendynamik erwartet der Schätzerkreis einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 2,5 Prozent im kommenden Jahr, das ist eine Steigerung von 0,8 Prozentpunkten.