Das Cytomegalovirus ist ein Herpesvirus, das bei gesunden Menschen nur relativ geringe Beschwerden wie Fieber, Lymphknotenschwellung oder Kopfweh verursacht. Für Personen mit geschwächtem Immunsystem, etwa für Krebspatienten, ist es jedoch lebensbedrohlich.
Auch für Schwangere ist eine Cytomegalovirus-Infektion ein ernstzunehmendes Problem: In ca. 15 Prozent der Fälle zeigen die infizierten Neugeborenen Krankheitssymptome, wovon 10-20 Prozent versterben und ein hoher Anteil unter Folgeschäden, darunter sehr häufig an Taubheit, leidet. Bislang gibt es weder eine Impfung gegen das Virus, noch ein zufriedenstellendes Medikament für den Einsatz bei Schwangeren. Dies wollen Forscher der Universität Erlangen-Nürnberg ändern. Mit dem Ziel, ein neues antivirales Medikament zu entwickeln, erprobt Prof. Dr. Manfred Marschall, Forschungsgruppenleiter am Virologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen, mit seinem Team ganz spezielle Angriffspunkte bei der Bekämpfung des Cytomegalovirus.
"Infektionen mit humanen Herpesviren, wie dem Cytomegalovirus, ähneln in mehrerlei Hinsicht den molekularen Vorgängen bei Krebserkrankungen: In beiden Fällen werden Gewebezellen zur Teilung angeregt, es werden Signalabläufe in den Zellen hochreguliert und Proteine in ihrer Funktion fehlgeleitet", erklärt Prof. Dr. Marschall und fügt hinzu: "Um eine Methode zur Bekämpfung des Cytomegalovirus zu entwickeln, setzen wir daher auf die Funktionsweise bestimmter Krebsmedikamente."
Viele in der Krebstherapie eingesetzte Arzneimittel wirken auf Basis sogenannter Kinase-Inhibitoren. Diese hemmen verschiedene zelluläre Proteinkinasen, die für das Wachstum der Krebszellen verantwortlich sind. Proteinkinasen sind Enzyme, die bestimmte Proteine gezielt verändern und in ihrer Aktivität steuern, sodass es zu einer unkontrollierten Zellteilung und damit zum Voranschreiten der Tumorbildung kommt. Die Entwicklung von Kinase-Inhibitoren für den Einsatz als Medikamente wurde besonders durch die genaue Kenntnis der molekularen Proteinstrukturen vorangetrieben – denn wenn die Aminosäuren der Proteinkinase und deren Struktur bekannt sind, kann ein passender Inhibitor gefunden werden, der in der Lage ist, an die Proteinkinase zu binden, sie zu hemmen und damit die Zellteilung einzudämmen.
In Bezug auf das Cytomegalovirus konnte Prof. Dr. Manfred Marschall zeigen, dass die viruseigene Proteinkinase ("pUL97") den zellulären Kinasen, also denjenigen bei Krebserkrankungen, ähnelt. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit analysierte er mit seinem Team die Cytomegalovirus-Proteinkinase pUL97 grundlegend, sowohl funktionell, strukturell als auch in ihrer Wechselwirkung mit der Zielzelle. Ziel war es auch hier, den Aufbau und die Zusammensetzung möglichst exakt zu bestimmen, um im Anschluss mögliche Inhibitoren zu finden beziehungsweise in ihrer Anwendung als "Medikamentenkandidaten" zu entwickeln.
Zur genauen Strukturbestimmung von zellulären Kinasen bei Krebserkrankungen wird herkömmlicherweise ein Verfahren eingesetzt, das auf einer Kristallisation des Proteins sowie einer anschließenden Röntgenstrukturanalyse basiert: Durch einen physikalisch-chemischen Prozess wird aus dem Protein ein Kristall gebildet. Denn nur in dieser komprimierten Form, ist es möglich, anhand der Beugung der Röntgenstrahlen ein 3D-Modell zu erstellen, das die verschiedenen Bausteine des Proteins und deren Zusammensetzung abbildet.
Die Struktur der viralen Proteinkinase pUL97 mit dem oben beschriebenen Verfahren der Kristallisation und Röntgenstrukturanalyse exakt abzubilden, ist derzeit noch nicht gelungen. Die Forscher fanden jedoch eine andere vielversprechende Methode: Mittels Computersimulation wurden verschiedene ähnliche Kinasen mit bekannten Strukturen "übereinandergelegt" und dadurch eine Vorhersage für die Struktur der viralen Proteinkinase pUL97 erstellt. Der Aufbau der Kinase wurde in einem 3D-Modell simuliert, das mögliche „Bindetaschen“ zeigt, also Bereiche, an denen Inhibitoren zur Hemmung des krankheitsverursachenden Prozesses "andocken" können. Auf Basis dieser Vorhersage lassen sich nun verschiedene Wirkstoffe auf deren Eignung als Inhibitoren analysieren beziehungsweise werden chemisch so weiterentwickelt, dass sie einen geeigneten Inhibitor darstellen. Eine Gruppe von Wirkstoffen (sogenannte "Quinazolin-Moleküle" aus der Gruppe um das Krebsmedikament "Iressa"), die das Team bereits genau untersucht hat, ist so gut geeignet, dass sich daraus ein antivirales Medikament entwickeln ließe.
Hier hofft das Team des Universitätsklinikums Erlangen nun darauf, durch Unterstützung eines Pharmaunternehmens die Medikamentenentwicklung weiter vorantreiben zu können. "Wir haben gezeigt, dass die Methode funktioniert und einen Prototypen entwickelt. Nun ist weitere Unterstützung gefragt, um die Entwicklung eines marktreifen Medikaments zu realisieren", so Prof. Dr. Marschall.