Der Blick auf die Gesundheitswirtschaft hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend verändert: Galt die Branche traditionell primär als Kostenfaktor, so sind inzwischen auch andere Aspekte in den Vordergrund gerückt: Ihr Beitrag zum Wohlstand, die Produktion von Wertschöpfung, hohe Beschäftigungseffekte und vor allem auch ihr Beitrag zu Steigerung des Humankapitals.
Seit zehn Jahren erstellt der Ökonom Prof. Dr. Dennis A. Ostwald vom Darmstädter WifOR-Institut im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung und drückt so in Zahlen die Leistung der Branche aus: 436 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, das sind 11,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung in Deutschland; mit 8,3 Millionen Beschäftigten gibt sie Menschen sichere und zukunftsfeste Arbeit; 160 Milliarden Euro gehen in den Export, überwiegend aus der industriellen Gesundheitswirtschaft.
In einem weiteren Rechenansatz kalkulieren die Ökonomen vom WifOR-Institut den Return on Investment (ROI) von Gesundheitsausgaben, indem sie Produktivitätsverluste messen, die durch Krankheiten verursacht werden. Für Brasilien hat Ostwalds Institut ausgerechnet, dass allein für sieben wichtige Erkrankungen der Produktivitätsverlust bei 110 Milliarden Euro liegt, fast sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für Europa sollten daher, so Ostwald, Kennzahlen zum ROI festgelegt werden: die Kosten von Krankheiten, die Berechnung der sozialen Auswirkungen von Innovationen und die Quantifizierung von wirtschaftlichen Effekten solcher Investitionen.
In Berlin, das durch Weltkriegszerstörung und anschließende Teilung in Ost und West 500.000 seiner ursprünglich 600.000 industriellen Arbeitsplätze verloren hat, spielt die Gesundheitswirtschaft eine herausragende Rolle. Hier werden 34 Milliarden Euro von insgesamt 418.000 Beschäftigten erwirtschaftet. Mit Die Hauptstadt verfügt über Topkliniken wie die Charité, Vivantes, dem Unfallkrankenhaus Berlin und dem Bundeswehrkrankenhaus verfüge die Hauptstadt über Top-Kliniken, so Staatssekretärin für Gesundheit und Pflege, Ellen Haußdörfer. Organisatorisch – etwa bei der sektorenübergreifenden Versorgung – sei die Hauptstadt bundesweit Spitzenreiter: So hätten sich inzwischen über 80 ASV-Teams mit rund 100 Ärzten gebildet, das sind rund acht Prozent aller in Deutschland arbeitenden ASV-Teams. Es sei daher richtig, dass nach dem Gesundheitsversorgungs-Stärkungs-Gesetz die Zahl der ASV-geeigneten Krankheiten von derzeit zwei auf acht pro Jahr gesteigert werden soll.
Zudem, so Haußdörfer, existierten inzwischen acht Technologieparks, die Lifescience-Institutionen und Start ups ein ideales Umfeld und Netzwerk für die Forschung bieten. Eine herausragende Rolle nehme dabei das Berlin Institut of Health an der Charité ein, das sich zum Ziel gesetzt habe, die Translation, also die Umsetzung von Erkenntnissen der Grundlagenforschung in konkrete innovative Produkte, zu intensivieren und zu beschleunigen. Denn dies, so die einmütige Auffassung aller Symposionsteilnehmer, ist ein entscheidender Schwachpunkt der Gesundheitswirtschaft.
Zunächst einmal, so Dr. Kai Uwe Bindseil von der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH und der CDU-Bundestagsabgeordnete Mario Czaja, seien drei Faktoren für erfolgreiche Innovationsentwicklung ausschlaggebend: Technik, Technologie und Toleranz. Vor allem die Toleranz Berlins und der europäischen Kultur seien ein entscheidender Standortfaktor, weil deshalb Forscher gern nach Berlin kämen, so Bindseil.
Ein wesentlicher Aspekt für eine florierende Start-up-Kultur als wichtige Grundlage für die Entwicklung von Innovationen sei das Denken in einer Gesamtwertschöpfungskette etwa von der in Berlin gut aufgestellten biomedizinischen Grundlagenforschung bis zum marktreifen Produkt und seiner Kommerzialisierung, so Prof. Maike Sander vom Max-Delbrück-Institut. Hindernisse in Deutschland seien einerseits der Mangel an Risikokapital und der Zugang dazu, andererseits schlechte Rahmenbedingungen für Forscher, auch unternehmerisch tätig zu werden. Die starren Regeln des Arbeitsrechts für Forscher passten nicht zu der Notwendigkeit, flexibel zwischen den Welten als forschender Unternehmer und Arbeit in öffentlichen Forschungsinstitutionen zu wechseln.
Andere Hindernisse – wie etwa der Datenschutz oder die starre hochkomplexe Bürokratie – sind inzwischen adressiert worden. Einig sind sich Wissenschaftler wie Maike Sander und Heidrun Irschik-Hadjieff, die Deutschland-Chefin von Sanofi, dass das Gesundheitsdatennutzungs- und das Medizinforschungsgesetz echte Fortschritte für die Nutzung von Versorgungsdaten für die Forschung und die Durchführung klinischer Studien am Standort Deutschland bringen wird. Derzeit, so Irschik-Hadjieff, benötigt die Entwicklung eines neuen Arzneimittels im Schnitt zwölf Jahre – das strategische Ziel von Sanofi sei es, diese Zeit auf sechs Jahre zu halbieren. Allein mit dem Einsatz von KI könne man drei Jahre sparen, eine effiziente und weniger zeitraubende Genehmigung klinischer Studien sei eine weitere wichtige Möglichkeit.
Noch ziemlich neu ist ein weiteres Problem für die Industrie: die mit dem GKVFinG geschaffenen Leitplanken für die Erstattungsbeträge sowie die Abschläge für Kombinationstherapien. Das, so Irschik-Hadjieff führe dazu, dass inzwischen nur noch jedes fünfte neu bewertete Arzneimittel einen Erstattungsbetrag bekomme, der oberhalb des Preises für die zweckmäßige Vergleichstherapie liege.
Zumindest eine Debatte darüber ist die Politik offenbar bereit zu führen. Notwendig sei dies auch, so die SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich, weil neuartige Therapien, die beispielsweise nur einmal durchgeführt werden, eigene Erstattungsregeln bräuchten.