Eine aktuelle Studie aus China beschäftigte sich mit den psychologischen Folgen der Viruskrise bei medizinischem Pflegepersonal in Wuhan und anderen, weniger stark von COVID-19 betroffenen Regionen Chinas – das Virus wird demnach wohl noch lange nachwirken.
Die Bilder, die wir im Zuge der aktuellen COVID-19-Pandemie tagtäglich im Fernsehen zu sehen bekommen, wirken verstörend und wissen zu schockieren. Wie viel ernster muss es da für diejenigen sein, die an vorderster Front stehen und jeden Tag mit den schwerstkranken Menschen konfrontiert werden? ÄrztInnen und Pflegende kommen dabei an ihre psychischen Grenzen, wie eine aktuelle Studie aus China belegt. Das Risiko für langanhaltende psychologische Erkrankungen wie Depression, Angst und Schlaflosigkeit steigt und wirkt wohl noch lange nach, so die StudienautorInnen.
Insgesamt wurden 1.257 Mitarbeitende der Gesundheitsberufe an 34 Zentren in China, darunter in Wuhan, der am stärksten betroffenen Metropole des Landes, befragt. Für die Einschätzung der psychologischen Belastungsfaktoren füllten die Teilnehmenden die folgenden validierten Fragebögen aus: "9-item Patient Health Questionnaire", "7-item Generalized Anxiety Disorder scale", "7-item Insomnia Severity Index" sowie den "22-item Impact of Event Scale–Revised".
Drei Viertel der Befragten waren Frauen, von denen die Mehrzahl als Krankenschwestern arbeitete. Insgesamt gehörten 61% der Studienteilnehmenden zu den Pflegekräften, 39% waren ÄrztInnen. Am häufigsten gaben die Befragten an unter Stress (72%), Depressionen (50%), Angst (45%) sowie unter Schlafstörungen (34%) zu leiden.
Als besonders gefährdet gelten der Studie zufolge Frauen, Krankenschwestern und im Allgemeinen solche medizinischen Berufe, die in der vordersten Linie gegen das Virus stehen. Diese litten generell unter schwereren Symptomatiken aufgrund der psychischen Belastungen im Zusammenhang mit COVID-19. Außerhalb des Epizentrums Wuhan nahm die Belastung hingegen deutlich ab (OR = 0,62; 95%-KI: 0,43–0,88; P = 0,008).
Diejenigen, die direkt mit den schweren Verläufen bei Diagnostik, Behandlung und Pflege der COVID-19-Erkrankten zu tun hatten, entwickelten sehr viel häufiger Depressionen (OR = 1,52; 95%-KI: 1,11–2,09; P = 0,01), Angst (OR = 1,57; 95%-KI: 1,22–2,02; P < 0,001), Schlaflosigkeit (OR = 2,97; 95%-KI: 1,92–4,60; P < 0,001) oder Stresssymptome (OR = 1,60; 95%-KI: 1,25–2,04; P < 0,001).
Die Studie zeigte überdies, dass die psychischen Symptome des medizinischen Personals diverse Ursachen hatten. Der Umgang mit den schwerstkranken COVID-19-Erkrankten allein wäre zu eindimensional gedacht. Das Problem ist sehr viel differenzierter und beruhe ebenso auf den individuellen Voraussetzungen im Umgang mit einer gesundheitlichen Notlage.
Die Facetten reichten dabei beispielsweise von der Angst vor Ansteckung, über das Gefühl, verwundbar zu sein, bis hin zum Kontrollverlust. Auch die drohende Gefahr, Familienmitglieder anstecken zu können oder isoliert zu sein, schwang in den Antworten mit. Dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein von Mensch zu Mensch übertragbares Virus handelt, welches ein erhöhtes Morbiditäts- und für einige Altersgruppen auch Mortalitätsrisiko bietet, verschärfte die Situation noch – Virus und Erkrankung werden dadurch noch viel stärker als persönliche Bedrohung angesehen.
Gepaart mit unzureichender Schutzausrüstung, einem Mangel an Gesichtsmasken und Beatmungskapazitäten sowie dem nicht abreißenden Zustrom neuer Fälle in Hochzeiten der Pandemie, nahmen die Stressbelastung und ebenso die persönliche Angst vor der Erkrankung enorm zu.
Abschließend sei festzuhalten, dass gerade diejenigen medizinischen Fachkräfte in den Kliniken, die direkt mit den COVID-19-PatientInnen interagierten, ein besonders hohes Risiko für psychische Erkrankungen hatten, vor allem Depressionen, Angst, Schlafstörungen und Stresssymptome. Diese bedürften auch noch über die aktuelle Gesundheitskrise hinaus längerfristiger Angebote der psychologischen Hilfe, um diese weltweite – und doch auch auf psychologischer Ebene ganz individuelle – Viruskrise meistern zu können.
Originalpublikation: Lai J et al., JAMA Network Open 2020; 3(3): e203976; doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.3976