Wie kann man zu mehr lebensrettenden Organspenden kommen? Und mit welchen ethischen Folgen? Der Bundestag berät über zwei Alternativen, und beide Lager sammeln Argumente - auch von Sachverständigen.
Im Ringen um mehr Organspenden in Deutschland wird vor einer Experten-Anhörung im Bundestag viel Unterstützung für eine tiefgreifende Reform deutlich. Mehrere geladene Organisationen und Initiativen sprechen sich in ihren Stellungnahmen für die Einführung einer "doppelten Widerspruchslösung" aus, die eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) anstrebt. Demnach sollen alle Volljährigen als OrganspenderInnen gelten. Man soll dazu aber später Nein sagen können, ansonsten wäre auch noch bei Angehörigen nachzufragen. Dagegen wenden sich unter anderem die beiden Kirchen. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärter Zustimmung erlaubt.
Die Bundesärztekammer erklärt in ihrer Stellungnahme für die Anhörung im Gesundheitsausschuss an diesem Mittwoch, es sei "seit zehn Jahren keine durchschlagend positive Entwicklung der Spenderzahlen" zu verzeichnen. Es sei an der Zeit, den Aspekt der Organspende als solidarische und auf Gegenseitigkeit beruhende Gemeinschaftsaufgabe durch die doppelte Widerspruchslösung auch gesetzlich eindeutig abzubilden. Die Deutsche Transplantationsgesellschaft betont, damit dokumentiere eine Gesellschaft eine "Kultur pro Organspende". Dies bedeute, dass in Ländern mit Widerspruchsregelung das Überprüfen der Möglichkeit zu einer Spende der Regelfall am Lebensende sei.
Die großen Kirchen melden indes "erhebliche rechtliche und ethische Bedenken" gegen eine Widerspruchslösung an und unterstützen einen anderen Vorschlag einer Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Dieser sehe "behutsame Modifikationen" im System vor, erklären die evangelische und die katholische Kirche. Sie seien geeignet, "das Vertrauen in die Organspende zu erhöhen und Menschen zu befähigen, eine informierte Entscheidung zu treffen".
Der Entwurf schlägt vor, alle BürgerInnen mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende anzusprechen. Dazu soll ein bundesweites Online-Register gehören, in dem man seine Entscheidung für oder gegen eine Spende eintragen und ändern kann. Zudem sollen HausärztInnen bei Bedarf alle zwei Jahre informieren.
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation gibt zu bedenken, dass bei dieser Vorgehensweise eine mehrjährige Umsetzungszeit zu erwarten sei. Eine von Gesellschaft und Politik getragene Widerspruchslösung gäbe "ein klares Signal an die Bevölkerung im Hinblick auf die Organspende". Dafür spricht sich auch die Stiftung Eurotransplant aus, die für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern zuständig ist. Die Einführung der Widerspruchslösung sei nötig "zum Erhalt der Solidarität" im Verbund. Ab kommendem Jahr hätten sie alle Eurotransplant-Länder außer Deutschland.
Dagegen argumentiert der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen werde eingeschränkt. Menschen könnten sich zur Organspende gedrängt fühlen, was die Vertrauenskrise verschärfe. Der Erlanger Theologe Peter Dabrock warnt, die Widerspruchslösung sei auch mit Blick auf Sorgen der nächsten Angehörigen und die Auswirkungen auf die Gesellschaft "schädlich und damit insgesamt unverhältnismäßig". Die Bezeichnung "doppelte" Widerspruchslösung sei zudem irreführend. Davon wäre nur zu sprechen, wenn Angehörige eine eigenständige Entscheidungsmöglichkeit hätten - das werde aber eigens verneint.
Über die beiden Gesetzentwürfe soll der Bundestag voraussichtlich noch in diesem Jahr in freier Abstimmung entscheiden. Ziel ist es, angesichts von fast 10.000 Menschen auf den Wartelisten zu mehr Spenden zu kommen. Die Zahl der SpenderInnen war nach langem Abwärtstrend 2018 wieder spürbar gestiegen - auf 955. In diesem Jahr gab es aber zunächst wieder einen Rückgang. Von Januar bis August waren es 614 SpenderInnen - nach 650 im selben Zeitraum des Vorjahres. Unabhängig von der Debatte gelten inzwischen neue Regeln, um die Organspende-Bedingungen in Kliniken zu verbessern - mit mehr Geld und mehr Freiraum für Transplantationsbeauftragte.