Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) präsentieren ein experimentelles Modell, das wichtige Merkmale "hochmaligner pädiatrischer Gliome" nachbildet. Diese Forschungsergebnisse könnten den Weg bereiten für ein besseres Verständnis molekularer Prozesse, die sowohl für Krebs als auch für neurodegenerative Erkrankungen relevant sind.
Bösartige Hirntumoren können verheerende Folgen haben. Bei Kindern sind sie die häufigste krebsbedingte Todesursache. Man vermutet, dass solche hochmalignen pädiatrischen Gliome auf krankhafte Proteinveränderungen zurückgehen. Allerdings ist das Wissen über diese Tumoren lückenhaft, denn es fehlen experimentelle Modelle, welche die Erkrankung getreu nachbilden. Jetzt haben Forscher des DZNE gemeinsam mit Kollegen aus Kanada und Großbritannien im Fachjournal Cancer Cell ein neuartiges Labormodell vorgestellt, das wichtige Merkmale dieser Erkrankung reproduziert.
Das Protein Histon 3.3 gilt als Schlüsselfaktor für die Entwicklung hochmaligner Gliome bei Kindern. Es handelt sich um ein Eiweißmolekül, das an die DNA bindet und dadurch die Genaktivität beeinflusst, was sich letztlich auf Hirnfunktion und Alterungsprozesse auswirkt. Ist dieses Protein aufgrund von Mutationen krankhaft verändert – so die Vermutung – können sich Hirntumoren entwickeln. "Die derzeitige Behandlung dieser Krebsform umfasst operative Eingriffe, Bestrahlung und Chemotherapie, wenn auch mit begrenztem Erfolg. Die meisten Patienten versterben innerhalb von ein bis zwei Jahren nach der Diagnose", sagt Prof. Paolo Salomoni, der eine Forschungsgruppe am Bonner Standort des DZNE leitet. Für die aktuelle Studie kooperierte sein Team mit der Arbeitsgruppe von Prof. Nada Jabado an der McGill Universität in Montreal und Wissenschaftlern anderer Forschungseinrichtungen.
"Bislang gab es kein wirklich repräsentatives In-vivo-Modell, um die grundlegenden Mechanismen dieser Krankheit untersuchen zu können", erläutert Salomoni. "Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, ein Mausmodell zu entwickeln, das zentrale Merkmale hochmaligner pädiatrischer Gliome wiedergibt. Unsere Ergebnisse stützen die Vorstellung, dass Mutationen im Histon 3.3 schon während der embryonalen Entwicklung die Genregulation verändern. Das bedeutet, dass der Krebs wahrscheinlich bereits im Mutterleib beginnt."
Für die aktuelle Studie veränderten die Forscher bei Mäusen den Bauplan von Histon 3.3. Dafür nutzten sie gentechnische Methoden. "Dieses Modell wird Einblicke in die Entwicklung dieser Krebsform ermöglichen. Zudem bietet es die Gelegenheit, neue therapeutische Ansätze zu erforschen", sagt Salomoni. Der Biologe sieht noch weiteres Anwendungspotenzial: "Untersuchungen am DZNE und anderen Forschungseinrichtungen legen nahe, dass krankhafte Veränderungen im Histon 3.3 nicht nur bei Hirntumoren von Bedeutung sind, sondern auch bei Depressionen und altersbedingten Hirnerkrankungen. Unser Modell könnte daher helfen, DNA-assoziierte Mechanismen zu untersuchen, die an einem breiten Spektrum von Krankheiten beteiligt sind."