Exakte Gewebeanalyse unmittelbar während der Krebs-OP – das würde für den Chirurgen und den Patienten vieles einfacher machen. Wissenschaftler sind dabei, entsprechende Verfahren und Geräte zu entwickeln.
esanum: In Ihrem Fachgebiet, der Massenspektrometrie, tut sich gerade Sensationelles: Mit einer Art Stift soll während der Krebs–OP Gewebe analysiert werden – das klingt ziemlich utopisch, wie funktioniert es?
Spengler: Das Gerät analysiert die OP-Areale per Massenspektrometrie, ohne das Gewebe zu schädigen. Dazu gibt der Chirurg ein Wassertröpfchen auf das Gewebe, in dem sich die Moleküle lösen. Das Gemisch wird über einen Schlauch in das Massenspektrometer geleitet. Dieses analysiert die Moleküle, gleicht das Profil mit einer Datenbank ab und das Ergebnis zeigt sich in zehn Sekunden auf dem Monitor. Das Neue an dem Verfahren ist, dass man so etwas nicht mehr nur aus dem Reagenzglas heraus, sondern auch direkt am Objekt tun kann. Zum Beispiel an einem lebenden Patienten.
esanum: Wie zuverlässig misst der MasSpec Pen?
Spengler: Er hat bei Proben von vier Tumorarten eine Zuverlässigkeit von 96 Prozent gezeigt. Man muss für eine tatsächliche Anwendung allerdings zunächst 1000, besser 2000 Gewebeproben von Patienten gemessen und zum Vergleich zur Verfügung haben. Man braucht also eine große Datenbank zum Abgleich. Diese müssen die Wissenschaftler erst einmal selbst herstellen. Dazu müssen viele Mediziner zusammenarbeiten, um auf diese hohen Zahlen zu kommen. Das ist der größere Teil der Arbeit, um dieses neue Gerät sinnvoll einsetzen zu können, um die Methode zu validieren. Und das muss erst noch geleistet werden.
esanum: Wer hat das Gerät entwickelt?
Spengler: Wissenschaftler von der University of Texas in Austin haben dieses aktuell publizierte System entwickelt, viele andere Arbeitsgruppen weltweit arbeiten an ähnlichen Systemen.
esanum: Was sind die großen Vorteile des Verfahrens?
Spengler: Der Chirurg kann noch während der OP, also quasi ohne Wartezeit, sehen, ob er das gesamte Tumorgewebe entfernen konnte. Und er muss nicht weiträumiger schneiden als unbedingt notwendig. Es gibt noch eine andere Methode, das iKnife, ein System, das ebenfalls während der Operation genutzt wird. Es wird zurzeit am Imperial College in London weiterentwickelt. Das ist ein Elektroskalpell (auch Elektrokauter genannt), das den Rauch, der beim Schneiden entsteht, analysiert und die Zusammensetzung des geschnittenen Gewebes direkt untersucht.
esanum: Was ist der entscheidende Unterschied?
Spengler: Mit dem iKnife bekommt man die Information während der Operation, während der MasSpec Pen das Gewebe ohne Schnitt mittels eines Wassertropfens analysiert - um zu prüfen, ob das Krebsgewebe vollständig entfernt worden ist. Es sind in dem Fall zwei Schritte mit einem separaten Gerät.
esanum: Wann wird das neue Gerät im klinischen Alltag ankommen?
Spengler: Es ist viel schwieriger, ein zweites, separates Gerät zu validieren und zugelassen zu bekommen, als es bei dem Elektroskalpell der Fall ist. Beim Elektroskalpell handelt es sich um ein zugelassenes chirurgisches Werkzeug, das lediglich einen zusätzlichen Absaugschlauch erhielt. Das iKnife wird derzeit für Forschungszwecke eingesetzt. Aber für die Entscheidung des Chirurgen über OP-Schritte darf es noch nicht genutzt werden. Und das neue Gerät, der MasSpec Pen, steht noch ganz am Anfang. Da es sich um zwei verschiedene Verfahren handelt, müssen auch die Datenbanken, auf die sie sich beziehen, ganz unterschiedlich sein. Es ist sicher sehr optimistisch gedacht, den MasSpec Pen demnächst schon einsetzen zu können.
esanum: Ist Deutschland an den Entwicklungen beteiligt? Oder woran arbeiten Sie gerade als Experte der Massenspektrometrie?
Spengler: Wir sind mit einer ähnlichen Methode auf einem anderen Gebiet tätig. Zum Beispiel in der Lebensmittelkontrolle. Wir entwickeln eine Methode, mit der wir in Zukunft bei der Importkontrolle am Flughafen schnell entscheiden können, ob Lebensmittel in den Handel gelangen dürfen oder nicht - weil diese beispielsweise mit zu viel Pflanzenschutzmittel belastet sind. Bisher muss das noch im Labor untersucht werden, und das dauert Tage. Und wenn die Ware nicht in Ordnung war, ist sie längst im Handel. Dann bekommt der Händler ein Embargo - fürs nächste Mal. Das wollen wir verbessern, indem künftig direkt am Obst oder Gemüse gemessen werden kann, was da an Pestiziden und ähnlichem drauf ist.
esanum: Was macht dieses neue Vorgehen auf einmal möglich?
Spengler: Die Geräte sind viel empfindlicher geworden, die Menge an Stoffen, die sie zur Analyse benötigen, ist geringer geworden. Diese Geräte können außerdem heute sehr viel genauer viele verschiedene Stoffe unterscheiden. Dadurch kann man so komplexe Proben wie Blut oder Urin unmittelbar untersuchen.
esanum: Wie sieht der Zukunft aus – wird also beispielsweise der Urologe demnächst die Analyse selbst vornehmen, während der Patient vor ihm sitzt?
Spengler: Das ist eine schöne Utopie. Eines Tages setzen sich vielleicht auch die Pathologen unmittelbar bei der OP an die Massenspektrometer, statt wie bisher im Labor durchs Mikroskop zu schauen. Das geht dann schneller und auch genauer. Doch neben der technischen Realisierung geht es auch um den Preis. Ein billiges Massenspektrometer kostet derzeit noch 100.000 Euro. Aber in diese Richtung wird es insgesamt gehen.