Krebs kann unser Immunsystem so beeinflussen, dass es gegen uns arbeitet. Behandlungen töten einige Krebszellen, doch die, die zurückbleiben, können das Immunsystem dazu bringen, bei der Bildung von Tumoren zu helfen. Eine neue Studie hat eventuell einen Weg gefunden, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Beim sogenannten "Tumorwachstums-Paradoxon" führt das Abtöten von Krebszellen dazu, dass mehr Krebszellen streuen. Dies passiert, weil das zurückgelassene Zellmaterial eine entzündliche Reaktion des Immunsystems auslöst, was dann zur Produktion weiterer Krebszellen führt. Forscher haben nun eventuell eine Lösung für dieses Rätsel gefunden. Laut ihrer neuen Studie können Resolvine (Bestandteile, die vom Körper natürlich abgesondert werden, um eine Entzündungsreaktion zu stoppen) Tumoren vom Wachsen abhalten, wenn dieses Wachstum von zellulärem Abfall ausgelöst wird. Die Studie wurde geleitet von Dr. Sui Huang vom Institute of Systems Biology in Seattle. Erste Autorin der Studie ist Dr. Megan Sulciner, die Ergebnisse wurden im Journal of Experimental Medicine veröffentlicht.
Sulciner und ihre Kollegen benutzten zytotoxische Behandlungen und andere zielgerichtete Medikamente, um im Labor kultivierte Krebszellen abzutöten. Das daraus resultierende Zellmaterial wurde Mäusen injiziert. Die Nagetiere hatten bereits einige Krebszellen in sich, doch diese reichten nicht aus, um von sich aus zu einem Tumorwachstum zu führen. Die Forscher behandelten auch einige Mäuse mit traditionellen Chemotherapie-Medikamenten. Beide Methoden unterstützten die Vermehrung von Krebszellen und förderten ihre Fähigkeit, Tumoren wachsen zu lassen. Dieses von Zellrückständen induzierte Tumorwachstum konnte sowohl bei den in vivo als auch bei den kultivierten Zellen beobachtet werden.
Die Studie deckte auf, dass ein Lipid namens Phosphatidylserine (welches sich auf der Oberfläche von toten oder belasteten Zellen befindet) dazu führt, dass das Immunsystem proentzündliche Zytokine freisetzt. Die Autoren kommentieren die Ergebnisse: "Unsere Studie hat neben anderen gezeigt, dass traditionelle Krebsbehandlungen ein zweischneidiges Schwert sein können, wobei die Behandlung, die den Krebs bekämpfen soll, ihm beim Überleben und sogar beim Wachstum hilft." Auch wenn Behandlungen darauf abzielen, Krebszellen zu töten, lassen sie Tumorzellenrückstände zurück, die einen Zytokinsturm von proentzündlichen tumorerzeugenden Zytokinen auslösen. Die wenigen Krebszellen, die die Behandlung überleben, könnten in Kombination mit einer entzündlichen Umgebung zu einem "perfekten Sturm" der Krebsprogression führen. So trägt die konventionelle Chemotherapie zu einem Tumorrückfall bei, erklären die Autoren. Huang fügt hinzu, dass die Ergebnisse die Idee unterstreichen, dass das Abtöten von Krebszellen durch immer effektivere Medikamente nach hinten losgehen könnte.
Wachstum, das durch tote Zellen stimuliert wird, ist natürlicher Bestandteil des Regenerationskreislaufs von Gewebe. Zellrückstände werden vom Gewebe als Verletzungssignal interpretiert und stimulieren die Wundheilung und Regeneration. Das Verhindern von durch Zellrückstände verursachtem Tumorwachstum ist entscheidend, wenn das Wiederkehren von behandlungsresistenten Tumoren verhindert werden soll.
Um sich dieser Herausforderung anzunehmen, behandelten die Forscher die Nagetiere mit wenigen Resolvinen. Die chemischen Bestandteile wurden in einer Studie entdeckt, die von Mitautor Dr. Charles Serhan einige Jahre zuvor durchgeführt wurde. Die Behandlung mit Resolvinen stoppte das von Zellrückständen ausgelöste Tumorwachstum und blockierte die Krebszellen, sodass sie nicht streuen konnten. Zusätzlich steigerten Resolvine die Aktivität verschiedener Krebsmedikamente, was sie effektiver gegen Krebs kämpfen ließ.
Huang kommentiert auch die klinischen Auswirkungen der Studie: "Wir haben gelernt, dass Krebstherapien Zellen nicht unsanft abtöten und dass abgestorbene Rückstände sofort entfernt werden sollten. Dies bedeutet, dass sanfteres Töten oder das Beenden des endlosen Regenerationszirkels nützlich sein könnte, was zur Anwendung von entzündungshemmenden Resolvinen führt." Resolvine werden bereits klinisch auf ihre therapeutischen Eigenschaften bei anderen Krankheiten getestet, merken die Autoren an. Huang hält fest, dass das Abzielen auf die Resolvin-Signalwege einen neuen, nicht-toxischen und nicht-immunsuppresiven Ansatz der Krebsbehandlung bietet.
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