Was bei onkologischen Patientinnen und Patienten mit einer Krebsimmuntherapie während der Pandemie zu beachten ist. Laut Aussage des Robert-Koch-Instituts zählen Patientinnen und Patienten mit einer onkologischen Grunderkrankung zur Risikogruppe für einen schweren Krankheitsverlauf einer SARS-CoV-2-Infektion. Bei diesen handelt sich jedoch um eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Erkrankungsstadien und Therapieregimen. Den immunsuppressiv wirkenden Chemotherapeutika stehen die immunstimulierenden Vertreter der Krebsimmuntherapie gegenüber. Das Nebenwirkungsprofil von Immuncheckpoint-Inhibitoren kann in vielerlei Hinsicht einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger ähneln. Die immunvermittelte Pneumonitis ist schwer zu differenzieren von der respiratorischen Symptomatik, die durch eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Erreger hervorgerufen wird.1-5
Patientinnen und Patienten, die sich in einer Krebsimmuntherapie, befinden sind aufgrund der breit gefächerten onkologischen Indikationsstellung keine Seltenheit mehr in der Hausarztpraxis. Immuncheckpoint-Inhibitoren werden bei Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Tumorentitäten eingesetzt. Die verschiedenen Immuncheckpoint-Inhibitoren haben einen gemeinsamen Nenner: Sie aktivieren allesamt das Immunsystem zur Tumorbekämpfung.1-5
Tumorzellen verwenden unterschiedliche Immune-Escape-Mechanismen, um einer Zerstörung durch das Immunsystem zu entkommen. So vermittelt der PD-1-Rezeptor durch Bindung seiner Liganden eine Immunsuppression. PD-1-Rezeptor-Inhibitoren binden an diesen PD-1-Rezeptor auf den T-Lymphozyten und verhindern auf diese Weise eine Interaktion des PD-1-Rezeptors mit den Liganden PD-L1 uns PD-L2 der Tumorzelle. Dies führt zu einer Aktivierung T-Lymphozyten.6 CTLA-4-Rezeptor-Inhibitoren entfalten ihre Wirkung, indem sie verhindern, dass das B7-Molekül von Antigen-präsentierenden Zellen an den zytotoxischen T-Lymphozyten-Antigen-4-Rezeptor binden kann. Auf diese Weise stärken sie die T-Lymphozyten zur Bekämpfung der Tumorzellen.7 Die Krebsimmuntherapie gibt schwerkranken Krebspatientinnen und -patienten Hoffnung auf einen Anstieg des progressionsfreien Überlebens und ihres Gesamtüberlebens. Die Aktivierung des Immunsystems im Rahmen der Krebsimmuntherapie kann jedoch mit autoimmunen Nebenwirkungen einhergehen, die eine immunsuppressive Therapie erforderlich machen können. Unter einer Immunsuppression kann wiederum die Infektanfälligkeit gegenüber bakteriellen und viralen Erregern steigen.
Der Großteil der Personen (80-90%), die eine Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren erhalten, erleidet Nebenwirkungen, die oft schwer zu differenzieren sind von viralen Erkrankungen. So geht Ipilimumab bei 20-30% der Patientinnen und Patienten mit immunbedingten Nebenwirkungen (Grad 3/4) einher. Die beiden Immuntherapeutika Pembrolizumab und Nivolumab hingegen zeigen nur in 10-15% der Fälle immunbedingte Nebenwirkungen. Die Kombination von Ipilimumab und Nivolumab erhöht jedoch die Häufigkeit des Auftretens immunbedingter Nebenwirkungen auf bis zu 55%. Am häufigsten sind immunvermittelte Erkrankungen der Lunge, der Leber, des Darms, des Pankreas und der Hypophyse anzutreffen.7
Die Symptomatik kann von einem einfachen Husten bis hin zu einer lebensbedrohlichen Atemnot reichen. 10% der Patientinnen und Patienten mit einer immunvermittelten Lungenerkrankung erleiden ein akutes respiratorisches Distresssyndrom, welches dem schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19 ähneln kann. Es sind vor allem die unteren Lungenabschnitte, die von einer immunvermittelten Pneumonitis betroffen sind. Radiologisch stellen sich Milchglasverdichtungen sowie Konsolidierungen dar.7 Laut der deutschen Röntgengesellschaft sind Milchglastrübungen und Konsolidierungen im CT auch typisch für COVID-19. Der neue Erreger SARS-CoV-2 führt ebenfalls bevorzugt zu pathologischen Veränderungen der unteren Lungenabschnitte sowie der Lungenperipherie.8 Die Hausärztin/ der Hausarzt muss diese differentialdiagnostischen Optionen bei Personen mit einer Krebsimmuntherapie stets im Hinterkopf haben.7-13
Referenzen:
1. Darvin P. et al. (2018). Immune checkpoint inhibitors: recent progress and potential biomarkers. Exp Mol Med. 2018 Dec 13;50(12):1-11.
2. Li B. et al. (2019). Immune Checkpoint Inhibitors: Basics and Challenges. Curr Med Chem. 2019;26(17):3009-3025.
3. Azoury S. C. et al. (2015). Immune Checkpoint Inhibitors for Cancer Therapy: Clinical Efficacy and Safety. Curr Cancer Drug Targets. 2015;15(6):452-62.
4. Heinzerling L. et al. (2019). Checkpoint Inhibitors. The Diagnosis and Treatment of Side Effects. Dtsch Arztebl Int. 2019 Feb; 116(8): 119–126.
5. Webb E. S. et al. (2018). Immune checkpoint inhibitors in cancer therapy. J Biomed Res. 2018 Sep 29;32(5):317-326. doi: 10.7555/JBR.31.20160168.
6. https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/opdivo-epar-product-information_de.pdf
7. Widmann, G. et al. (2017). Unerwünschte Wirkungen der Immuntherapie. Radiologe 57, 840–849.
8. https://www.drg.de/de-DE/5995/covid-19/
9. Wang H. et al. (2020). Clinical diagnosis and treatment of immune checkpoint inhibitor‐associated pneumonitis. Thorac Cancer. 2020 Jan; 11(1): 191–197.
10. Zhong L. et al. (2020). Immune-Related Adverse Events: Pneumonitis. Immunotherapy. 2020; 1244: 255–269.
11. Imafuku K. et al. (2017). Two Cases of Nivolumab Re-Administration after Pneumonitis as Immune-Related Adverse Events. Case Rep Oncol 2017;10:296–300.
12. Pengfei C. et al. (2018). Risk factors for pneumonitis in patients treated with anti‐programmed death‐1 therapy: A case‐control study. Cancer Med 2018;7(8):4115-20.
13. Suresh K. et al. (2018). Pneumonitis in Non-Small Cell Lung Cancer patients receiving Immune Checkpoint Immunotherapy: incidence and risk factors. J Thorac Oncol 2018. doi:10.1016/j.jtho.2018.08.2035.
Die Expertenrunde "COVID-19 in der Praxis" mit dem Schwerpunkt Onkologie vom 13.Mai 2020 ist unter diesem Link als Video On-Demand abrufbar. Das Programm für die nächste CME-Expertenrunde der Reihe "COVID-19 in der Praxis" mit den Fachbereichen Rheumatologie