Experten hatten seit langem damit gerechnet: eine weltweite Pandemie mit globalen Auswirkungen auf Gesundheit, Wirtschaft und Gesundheitssysteme – und nicht zuletzt mit Eingriffen in die Freiheit der Menschen.
Die Bilanz in einigen Zahlen: weltweit bislang 617 Millionen erfasste Infektionen, 6,5 Millionen Tote, in Deutschland 150.000 Tote. Eine Übersterblichkeit, die in den USA zu einer Minderung der Lebenserwartung von 1,6 Jahren bei Männern und 2,2 Jahren bei Frauen geführt hat, in Deutschland 0,4/0,5 Jahre. Fast alle Regierungen reagierten mit Lockdowns, die Folge waren unterbrochene Lieferketten und die härteste Rezession der Nachkriegsgeschichte.
In derartigen Krisen, so Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), ist Vertrauen das wichtigste Kapital. Es basiert auf Transparenz, kohärente Information und Berechenbarkeit. Eine zentrale Rolle dabei spielt effektive Kommunikation. Erstmals in einer Pandemie standen neben den traditionellen Medien auch Social-Media-Plattformen zur Verfügung, die sich auch die Wissenschafts-Community zunutze machte. Die Anforderungen an eine als kohärent empfundene Kommunikation waren allerdings kaum zu erfüllen: wegen unzureichenden Wissens, vorläufigen und unsicheren Erkenntnissen, widersprüchlichen Daten sowie Meinungs-und Wissenschaftspluralismus in freien Gesellschaften.
Unvorbereitet traf es den Öffentlichen Gesundheitsdienst: personell seit Jahren ausgezehrt, kommunikationstechnisch auf dem Stand der Fax-Technologie der 1970er Jahre. "In einer Krise müssen Daten aber für Entscheidungsträger und ihre Berater verfügbar sein", postuliert Wieler. Überkommende Hürden zur Datengenerierung und –übermittlung müssten überwunden werden. Der Bund habe auf diese Erfordernisse rasch mit dem Programm für den Öffentlichen Gesundheitsdienst reagiert: Vier Milliarden Euro stehen bis 2026 zur Verfügung, um 5.000 unbefristete neue Vollzeitstellen zu schaffen und in die Digitalisierung zu investieren.
Ein entscheidender Game-Changer in der Bewältigung der Pandemie war die Entwicklung neuer Impfstoffe im Rekordtempo und ihre Zulassung im Dezember 2020. Seit August/September 2022 ist bereits die zweite Generation gegen die Omikron-Varianten BA4/BA5 in den USA und Europa zugelassen. Pfizer/BioNTech arbeiten derzeit an bivalenten Impfstoffen. Zugleich wurden weltweit gigantische Produktionskapazitäten aufgebaut, die es möglich gemacht haben, bis zum 4. September mehr als 12,6 Milliarden Impfstoff-Dosen bereitzustellen, berichtete die Stanford-Professorin und Medical-Chief Officer von Pfizer, Aida Habtezion. Impfstoff, der für 180 Länder weltweit zur Verfügung steht.
Der Erfolg wurde durch Bedingungen und Instrumente erreicht, die die Forschung der pharmazeutischen Industrie künftig prägen könnten, so Habtezian: Fokussierung auf den größten Unmet Medical Need, auf Breakthrough-Potential und Zeitersparnis.
COVID-19 hat darüber hinaus massive soziale Ungleichheiten offengelegt. Professor Clare Bambra, Public-Health-Forscherin an der Universität von Newcastle (UK) hat dies untersucht. Beispiel COVID-19-Mortalitätsraten: Sie lagen von März bis Mai 2021 in Schottland bei 86,5 pro 100.000 Einwohner im unteren Einkommensquintil, aber nur bei 38,2/100.000 im obersten Einkommensquintil. Ähnliche Disparitäten wurden für andere Regionen bestätigt. Darüber hinaus spielt die Ethnie eine Rolle: So war die COVID-Mortalität unter der britischen dunkelhäutigen Bevölkerung mit 564/100.000 viermal so hoch wie unter der weißen Bevölkerung. Das sind Phänomene, die nicht neu sind, sondern bereits bei der Spanischen Grippe 1918 in Norwegen, Schweden und den USA beobachtet worden sind.
Die Ursachen der Ungleichheit sind überall ähnlich und persistieren: Benachteiligte Gruppen sind besonders betroffen von
Aber auch die Immunisierungschancen durch Impfungen sind ungleich verteilt, stellte Clare Bambra fest: Im wohlhabenden Richmondshire haben 70,3 Prozent der Bevölkerung eine dritte Dosis erhalten, im armen Salford nur 47,3 Prozent.
Zurück zu Medizin und Biologie: Public and Global Health, so der Präsident des Friedrich-Löffler-Instituts für Tiergesundheit, Professor Thomas Mettenleiter, erfordern zwingend die Einbeziehung der Tierwelt. Jedes Jahr erkranken allein 2,4 Milliarden Menschen an Zoonosen, für 2,2 Millionen Menschen mit tödlichem Ausgang. 60 Prozent der bekannten Infektionskrankheiten haben laut Mettenleiter einen tierischen Ursprung. Eine wirksame Bekämpfung erfordere einen One Health-Ansatz unter Einbeziehung der Tiergesundheit und der Umweltbedingungen.
Dies gilt insbesondere auch für parasitäre Erkrankungen, die am stärksten vernachlässigten Krankheiten von Kindern in Entwicklungsländern, so die Veterinärmedizinerin Professor Susanne Hartmann von der TU Berlin. Die Übertragungswege: mangelnde Sanitäreinrichtungen, Defäkieren im Freien, Düngung mit menschlichen und tierischen Fäkalien, kontaminierte Lebensmittel und verschmutztes Wasser. Die Folgen sind chronische Erkrankungen, häufige Reinfektionen, schlechte körperliche und menschliche Entwicklung mit gravierenden Einflüssen auf Arbeits- und Bildungsfähigkeit sowie das künftige Einkommen.
Wirksam im Kampf gegen Parasiten sind Entwurmungsprogramme. So hat der US-Ökonom und Armutsforscher Michael Kremer, Wirtschaftsnobelpreisträger von 2019, herausgefunden, dass schon ein dreijähriges konsequentes Entwurmungsprogramm mittelfristig zu einer Steigerung des Einkommens von elf Prozent führen kann. Es wäre eine Option, den Teufelskreis von Armut und Krankheit zu durchbrechen.
Einschränkend weist die Veterinärmedizinerin Hartmann allerdings darauf hin, dass Arzneimittel als Folge zunehmender Resistenzen von Helminthen beizeiten unwirksam werden könnten. Dringend notwendig sei Forschung an neuen Wirkstoffen, die beispielsweise den Immunmodulations-Mechanismus nutzen, mit dem Helminthen ihren Wirt schonen, um ihn möglichst lange zu nutzen. Wirklich kausal aber wären sauberes Trinkwasser, Lebensmittelhygiene und sanitäre Infrastruktur.
Ein Problem der besonderen Art wegen seiner Komplexität ist das dysfunktionale Wachstum der Megastädte in Südostasien, das die Kölner Geografin Professor Frauke Kraas mit ihrem Team vor Ort analysiert hat. Ein besonders krasses Beispiel ist Shenzhen im Hinterland von Hongkong: Vor 50 Jahren noch eine Mittelstadt mit 58.000 Einwohnern leben hier nun elf Millionen Menschen in einer Agglomeration mit insgesamt 120 Millionen Einwohnern, von denen mehr als ein Drittel Arbeitsmigranten sind.
Die Dysfunktionalität des ungehemmten Wachstums ist charakterisiert vom Verlust traditioneller Familienmuster und Unterstützungsnetze, Anonymisierung, mangelhafter Gesundheits- und Sozialinfrastruktur, Kriminalität und Umweltzerstörung. Neben massiven psychischen Schäden produzieren diese Megastädte mit einer ungeregelten, unkontrollierten und weitgehend privatisieren Medizin (und Scharlatanerie) extreme Ungleichheit und erhebliche Risiken wie die Entstehung und Verbreitung von Infektionskrankheiten wie SARS.
"Der zunehmende Handel mit minderwertigen oder gefälschten Arzneimitteln führt dazu, dass asiatische Megastädte das Epizentrum globaler Resistenzen gegen antimikrobielle Medikamente sind – und auch Exporteure hochresistenter Erregerstämme."
Frauke Kraas
Shenzhen ist 8.000 Kilometer von Deutschland entfernt. Antibiotikaresistenzen aber ubiquitär.