Die Nutzung von digitalen Techniken, die derzeit bereits zur Verfügung stehen, können die Qualität und Patientensicherheit von Diabetikern, auch durch eine Minderung von kardiovaskulären Risiken, signifikant verbessern. Sie sind zugleich geeignet, bei wachsendem Fachkräftemangel Versorgungslücken in der Fläche entgegenzuwirken.
Die Zahl der derzeit 8,9 Millionen Menschen mit Diabetes wird bei etwa 450.000 Neuerkrankungen pro Jahr in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Angesichts eines wachsenden Fachkräftemangels wird die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung zu einer Herausforderung. Ein „großes Zukunftspotential“ werden vor diesem Hintergrund digitale Diabetestechnologien haben, so Professor Susanne Reger-Tan von der Ruhr-Universität Bochum.
Eine wichtige Option sei dabei der Einsatz des kontinuierlichen Glukosemonitorings (CGM): Es trägt zur Senkung des HbA1c bei, reduziert Schwankungen des Blutzuckerspiegels und verkürzt die Zeit, in der der Blutzucker unter dem Zielbereich liegt, um etwa 100 Minuten pro Tag. Die Verbesserung der Glukosekontrolle hat einen positiven Nutzen auch bei weniger intensiv behandelten Patienten, die nur Basalinsulin erhalten, mit einer Senkung des HbA1c-Wertes um etwa einen Prozentpunkt. Auch für diese Patientengruppe konnte eine Verbesserung des kardiovaskulären Risikoprofils gezeigt werden. Überdies hilft die CGM, frühzeitig Notfallsituationen zu erkennen und geeignete Interventionen einzuleiten. Eine französische Datenanalyse zeigte, dass nach der Einführung des CGM das Risiko für diabetesbedingte Notaufnahmen im Krankenhaus auf ein Viertel der ursprünglichen Fälle gesenkt werden konnte.
Relevant sei die CGM auch in der Krankenhausversorgung, weil Diabetes die häufigste Nebendiagnose bei stationär behandelten Patienten ist. Aufgrund des Mangels an Diabetes-Spezialisten in Kliniken gilt der Einsatz von Sensoren zur kontinuierlichen Glukosekontrolle als die derzeit fortschrittlichste Methode und wird inzwischen in einigen internationalen Leitlinien empfohlen. Die CGM macht die Stoffwechselkontrolle leichter, präziser und sicherer und könne daher auch im Krankenhaussetting „besonders wertvoll“ sein, so Reger-Tan.
In der ambulanten Versorgung von Diabetes-Patienten liegt der Fokus der Ärzte vor allem auf der Vereinfachung von Abläufen, der Verbesserung von Behandlungsqualität sowie einer effizienteren und ressourcensparenden Arbeitsweise. Diese Faktoren motivieren stärker zur Nutzung neuer digitaler Technologien als politische Sanktionsandrohungen bei Nichtumsetzung, erklärt Dr. Tobias Wiesner vom MVZ Stoffwechselmedizin in Leipzig.
Glukosesensoren, Insulinpumpen, vernetzte Systeme und digitale Gesundheitsanwendungen haben nach seiner Einschätzung mittlerweile Einzug in Schwerpunktpraxen gehalten, wenn auch in unterschiedlichem Umfang. Weitere Optionen der Digitalisierung umfassen Online-Rezeptbestellungen, Videosprechstunden, Online-Schulungen sowie ab dem nächsten Jahr die elektronische Patientenakte (ePA). Diese digitalen Möglichkeiten werden von den Schwerpunktpraxen zunehmend akzeptiert, und ihr Potenzial für die Zukunft wird zunehmend erkannt.
Die Digitalisierung soll es ermöglichen, auch in der Diabetologie eine Struktur zu etablieren, in der behandlungsrelevante und individuelle Gesundheitsdaten, einschließlich diabetesbezogener Informationen, stets aktuell verfügbar sind. Wiesner bedauerte, dass mit der verzögerten Einführung der ePA auch das Projekt der elektronischen Diabetesakte (eDA), das die DDG seit einigen Jahren vorangetrieben habe, verlangsamt worden sei. Das Ziel der eDA ist, die Daten mit einem Register zu verbinden und damit kontinuierlich aktuelle, patientenbezogene, medizinische und gesundheitsökonomische Analysen zu ermöglichen. Dies könne sowohl Diagnostik und Therapie weiter verbessern als auch eine zielgerichtete Gesundheitspolitik fördern.
Einen erheblichen Rückstand weist die gegenwärtig existierende Diabetesversorgung in Bezug auf die wichtige Gruppe behinderter und geriatrischer Patienten auf, so Dr. Dorothee Reichert, Fachärztin für Innere Medizin. Die vor 15 Jahren von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention und der darauf basierende 2011 verabschiedete Nationale Aktionsplan der Bundesregierung ist in Bezug auf die Diabetes-Versorgung nach Erkenntnissen aus dem Statusbericht 2023 nicht umgesetzt worden. Das führt bei behinderten und geriatrischen Patienten insbesondere mit Diabetes Typ 1 zu unnötigen lebensbedrohlichen Situationen.
Bislang ist es nicht gelungen, barrierefreie Glukosesensoren und Insulinpumpen einzuführen, da diese Systeme oft ein hohes Maß an digitalem Grundverständnis voraussetzen. So sind Menschen mit ausgeprägter Sehbehinderung von vornherein ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss trägt mit seinem Beschluss zur Nutzung von Sensoren zur Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen bei. Dies geschieht, indem er verlangt, dass nur Patienten Anspruch auf Kostenübernahme haben, die eigenständig den Zeitpunkt und die Zusammensetzung ihrer Mahlzeiten festlegen können und in der Lage sind, die Dosierung des Mahlzeiteninsulins basierend auf der Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate und dem präprandialen Blutzuckerspiegel selbstständig anzupassen. Das führt insbesondere bei Menschen mit Pflegebedarf dazu, dass sie die für sie wichtige Möglichkeit zum Schutz vor schweren Hypoglykämien nicht erhalten.
Dieses Problem wird zusätzlich dadurch verschärft, dass insbesondere in der Altenpflege ein mangelndes Fachwissen besteht. Dies ist die Folge einer unbefriedigenden Inanspruchnahme von speziellen Fortbildungsprogrammen, die die Deutsche Diabetes Gesellschaft anbietet, beklagte Reichert.