Sinusitis ist die Vokabel schlechthin zur Erkältungssaison: Nasennebenhöhlenentzündung. Fast jeder hat schon mal wegen ihr geschnieft oder nach Atem gerungen. Ein Stück weit sind die Nasennebenhöhlen selbst für ExpertInnen noch ein Mysterium.
Die Nase läuft, der Kopf drückt: Im Herbst droht sie wieder, die Nasennebenhöhlenentzündung. Sinusitis sagt der Fachmann. Oder gar Rhinosinusitis. Davon spricht beispielsweise Martin Wagenmann, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Düsseldorf. Denn meist sei auch die Nase selbst mit betroffen. "Eine absolute Volkskrankheit", sagt der Mediziner. "Es gibt nur ganz wenige Menschen, die nie im Leben eine Nasennebenhöhlenentzündung haben."
Unterschieden werden zwei Formen, wie der Experte von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie erklärt: die akute Rhinosinusitis, die bis zu drei Monate dauern kann, und die chronische.
Doch wozu hat sie der Mensch überhaupt, die oft so lästigen Nasennebenhöhlen? "Das weiß niemand so genau, die evolutionäre Funktion ist bis heute unklar", sagt Wagenmann. Eine Theorie handle von Resonanz für eine klangvollere Stimme. Eine andere laute: eingebaute Knautschzone. "Beim Zusammenstoß mit einem Mammut war es besser, das Gesicht wird zusammengedrückt, als dass es zum Schädelbasisbruch kommt."
Geringeres Gewicht könnte demnach ebenfalls eine Rolle spielen: Luft ist leichter als Knochen. Zudem sei in den Nasennebenhöhlen die Konzentration von Stickoxid hoch - und das wirke antibakteriell, so Wagenmann. "Nur eines ist sicher: Mit dem Riechen oder Atmen haben die nichts zu tun", erklärt er. "Die Öffnungen zur Nase sind viel zu klein, als dass das einen Effekt haben könnte."
Rein anatomisch betrachtet sind Nasennebenhöhlen luftgefüllte Schleimhaut-Aussackungen der Nasenhöhle. MedizinerInnen unterscheiden beim Menschen vier verschiedene: die Kieferhöhle und die Stirnhöhle sowie dazwischen gelegen die Keilbeinhöhle und die Siebbeinzellen. Manche Menschen hätten von Geburt an ein- oder beidseitig keine Stirnhöhlen, sagt Wagenmann. "Das hat keine Nachteile."
Wer an einer akuten Nasennebenhöhlenentzündung leidet, dem empfiehlt Wagenmann "die guten alten Hausmittel": Inhalation warmer Dämpfe, Nasenspülungen, pflanzliche Präparate. Abschwellende Nasentropfen linderten zwar die Symptome. "Aber man darf nicht glauben, dass man den Verlauf der Krankheit damit beschleunigen kann", erklärt der Mediziner. "Trotzdem sind die Deutschen Weltmeister im Kaufen von abschwellenden Nasentropfen."
Eine Therapie mit Antibiotika ist aus Expertensicht meist nicht sinnvoll. "Über 90 Prozent der Entzündungen sind nicht durch Bakterien verursacht", erläutert Wagenmann. Bei Enzympräparaten hätten Studien sogar negative Ergebnisse gezeigt. Und auch von schleimlösenden Medikamenten hält der Arzt nicht viel.
Elf Prozent der Bevölkerung in Europa sind von chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen betroffen, so der Fachmann. "Das kann dann die Lebensqualität ähnlich einschränken wie Asthma." Kortisonsprays seien vor allem bei chronischer Rhinosinusitis, aber auch bei einer akuten meist das effektivste Medikament, so Wagenmann. Helfe die medikamentöse Behandlung nicht, kann demnach eine Operation sinnvoll sein. Dabei werden die Öffnungen zur Nase erweitert. "Wenn die zu eng sind, kann kein Austausch erfolgen: Die Luft muss rein, das Sekret raus können."
450.477 Operationen an Nase und Nebenhöhlen weist die Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamts für das vergangene Jahr aus. Allein 542 bei Kindern unter einem Jahr. "Früher wurde zu viel Schleimhaut entfernt. Heute weiß man, dass diese radikalen Operationen meist mehr Schaden anrichten als zu helfen", sagt Wagenmann. Dennoch findet er: "Wahrscheinlich wird zu viel operiert. Das liegt auch am Gesundheitssystem: Operationen sind lukrativ."
Dass Fremdkörper in einer Nasennebenhöhle zum Tod führen, sei die absolute Ausnahmen, sagt Wagenmann. In die Nase gestecktes Spielzeug schaffe es bei Kindern nicht durch die kleinen Öffnungen in die Nebenhöhlen. Er selbst habe allerdings schon einen Fund in einer Nasennebenhöhle gemacht: Bei einem Patienten mit Schussverletzung war die Kugel dort steckengeblieben.