Wie eine aktuelle Studie zeigte, profitieren Herz und Gedächtnis von einer Blutdrucksenkung auf 120 mmHg und darunter. Sind wir also bald alle Hypertoniker? Gerade erst im vergangenen Jahr sorgten die US-amerikanischen Leitlinien zur Hypertonie-Behandlung für Aufruhr hierzulande und in Europa: Zukünftig sprechen amerikanische Ärztinnen und Ärzte bereits ab einem Wert von 130 mmHg von einem therapiebedürftigen Bluthochdruck. Böse Zungen behaupteten, dies hänge unter anderem mit einer Gewinnmaximierung zusammen. So gilt denn auch hier als sicher: Zumindest der zu erwartende Gewinn würde bei einem Blutdruck-Zielwert von 120 mmHg garantiert deutlich über dem Blutdruck der PatientInnen liegen.
Ein zu hoher Blutdruck schädigt über Jahre hinweg Blutgefäße, das Herz und ebenso das Gehirn. Daher gelten in Europa und hierzulande länger anhaltende Blutdruckwerte oberhalb von 140/90 mmHg als signifikanter Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Darüber hinaus kommt es nicht selten zu Schädigungen der Nieren.
Neuere Arbeiten postulierten zudem, dass Bluthochdruck auf Dauer die Gedächtnisleistung einschränkt und degenerative neurologischer Erkrankungen, wie Alzheimer oder Demenz, fördern könne. Vor diesem Hintergrund untersuchte ein Forscherteam aus den USA, inwieweit sich eine Blutdruckabsenkung auf 120 mmHg positiv auf das Gedächtnis auswirken würde.
Die Datengrundlage bildeten 9.300 ProbandInnen im mittleren Alter von 50 Jahren, die unter einem diagnostizierten Bluthochdruck litten. Alle TeilnehmerInnen wurden in zwei Gruppen randomisiert: Blutdrucksenkung auf 140 mmHg bzw. Blutdrucksenkung auf 120 mmHg.
Bereits nach dreieinhalb Jahren (!) zeigten diejenigen mit der strengeren Blutdruckkontrolle auf < 120 mmHg deutliche Vorteile gegenüber der Gruppe, welche auf den Zielwert von 140 mmHg eingestellt wurde. So traten weniger Herz-Kreislauf-Ereignisse auf und die allgemeine Sterblichkeit war geringer, je niedriger der Blutdruck.
In der anschließenden Auswertung der Daten nach einem Beobachtungszeitraum von fünf Jahren zeigte sich darüber hinaus, dass das Gedächtnis bei den stärker abgesenkten PatientInnen deutlich weniger großen Einschränkungen unterlag. Ebenso reduzierte die rigorosere Blutdruckkontrolle offensichtlich das Demenzrisiko, zumindest numerisch, denn signifikant waren die Datenvergleiche nicht.
Die vorliegende Arbeit offenbart indes auch einige Mängel, welche die Interpretation und Aussagekraft der Daten relativieren. So wurde beispielsweise vor Beginn der Studie kein allgemeiner kognitiver Status bestimmt. Das einzige Ausschlusskriterium im Bereich Kognition war eine bekannte Demenzerkankung.
Die eingeschlossenen PatientInnen gehörten eher in die Kategorie der "gesunden Hypertoniker", denn ProbandInnen mit Typ-2-Diabetes, durchlebtem Herzinfarkt oder Schlaganfall durften nicht teilnehmen. Es handelte sich somit um eine sehr stark vorausgewählte, "künstliche" Patientengruppe.
Ferner bleibt unklar, ob die beobachteten Effekte von der Blutdruckkontrolle per se abhängen oder auf die in der Studie eingesetzten Wirkstoffe (Azilsartan und Azilsartan kombiniert mit Chlorthalidon) zurückgehen, so die Studienautoren zum Abschluss ihrer Publikation.
Verweisen die Autoren auch auf die Unabhängigkeit ihrer Arbeit, so liest sich deren Liste der Interessenskonflikte dennoch wie ein Who-is-Who einer Branche. Eine gewisse Vorsicht im Umgang mit den Studiendaten und ihrer Interpretation für die Praxis ist dabei sicher nicht verkehrt.
Quelle: JAMA, 2019; doi: 10.1001/jama.2018.21442