Chronische Nierenerkrankungen (chronic kidney disease) gelten als weltweites Gesundheitsproblem und betreffen einen großen Teil der erwachsenen Bevölkerung. Die Erkrankung ist häufig Folge von Diabetes oder Bluthochdruck und gilt als eigenständiger Risikofaktor für Herzinfarkt oder Schlaganfall. In einer Studie haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ulmer Universitätsmedizin und dem Deutschen Herzzentrum der Technischen Universität München gezeigt, dass eine auf dem Marker Cystatin C-basierende Messmethode unter bestimmten Umständen genauer sein kann, als die bislang verwendete Messung mittels Kreatinin.
Bislang gilt das Stoffwechselprodukt Kreatinin als Hauptmarker für die Nierenfunktion. Reichert sich die Substanz, normalerweise über den Urin ausgeschieden, im Blut an, kann eine chronische Nierenerkrankung vorliegen. Jedoch variiert die Genauigkeit der Messmethode mit Alter, Geschlecht und Muskelmasse der Testpersonen. Vor allem bei älteren PatientInnen ist die Methode mit Einschränkungen verbunden und in den Diagnose-Grenzbereichen einer chronischen Nierenfunktion sehr fehleranfällig.
Das inzwischen ebenfalls als Marker für die Funktion der Nieren eingesetzte Cystatin C liefert bei jüngeren und Personen ohne weitere Erkrankungen verlässlichere Ergebnisse. "Die richtige Klassifizierung – Niereninsuffizienz ja oder nein – ist vor allem beim Screening dieser Bevölkerungsgruppen von Bedeutung, um weniger falsch positiv klassifizierte Personen zu erhalten", so Professor Dietrich Rothenbacher, der das Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Uni Ulm leitet. Falsch positive getestete Personen erhalten eine Diagnose zu Unrecht und müssen dann oft unnötig weiter medizinisch abgeklärt werden.
Für die Studie wurden die Daten voN 80 000 TeilnehmerInnen aus 23 europäischen Kohorten ausgewertet. Durch die lange Nachbeobachtungzeit von bis zu 20 Jahren lägen besonders verlässliche Ergebnisse vor, sagt Professor Wolfgang Koenig, Oberarzt und Leiter der "Cardiometabolic Unit" am Deutschen Herzzentrum München. Außerdem wurde gezeigt, dass eine chronische Niereninsuffizienz ein wichtiger Risikofaktor für weitere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und somit für einen frühen Tod ist. Das Risiko sei vergleichbar mit dem Risiko eines Betroffenen, der bereits einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall durchgemacht habe, erläutert Professor Rothenbacher. Rothenbacher und Koenig hatten bereits 2005 zuerst auf die Vorteile von Cystatin C bei der Diagnose von Nierenerkrankungen hingewiesen, und 2013 an einem Artikel mit hauptsächlich US-amerikanischen Kohorten mitgearbeitet hatten. Nun konnten sie diese Ergebnisse auch in europäischen Studienpopulationen bestätigen.
Zudem fanden die WissenschaftlerInnen heraus, dass der Schwellenwert von 60 ml/min/1,73 m2, ab dem von einer konventionellen Niereninsuffizienz gesprochen werden kann, auch für Betroffene über 65 Jahre gilt. Dieser Wert wurde in letzter Zeit immer wieder in Frage gestellt.
Quelle:
Rothenbacher D, Rehm M, Iacoviello L, Costanzo S, Tunstall-Pedoe H, Belch JJF, Söderberg S, Hultdin J, Salomaa V, Jousilahti P, Linneberg A, Sans S, Padró T, Thorand B, Meisinger C, Kee F, McKnight AJ, Palosaari T, Kuulasmaa K, Waldeyer C, Zeller T, Blankenberg S, Koenig W and on behalf of the BiomarCaRE consortium: Contribution of cystatin C- and creatinine-based definitions of chronic kidney disease to cardiovascular risk assessment in 20 population-based and 3 disease cohorts: the BiomarCaRE project. BMC Med 18, 300 (2020). https://doi.org/10.1186/s12916-020-01776-7