Ja oder nein? Gesetzlich Krankenversicherte haben bei bestimmten medizinischen Eingriffen Anspruch auf eine Zweitmeinung, wenn sie Zweifel am Nutzen der Operation haben. Für welche Eingriffe dies gilt, legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren fest. Nun wurden 15 neue Eingriffe auf die Liste gesetzt.
Seit vielen Jahren wird für Industrienationen eine mögliche Überversorgung von PatientInnen mit medizinischen Leistungen diskutiert. Dabei geht es auch um die Frage, ob alle Maßnahmen, die Ärztinnen und Ärzte empfehlen, aus medizinischer Sicht notwendig sind und wo Ermessensspielräume bestehen. Ein möglicher Ansatz zur Verbesserung der Versorgung liegt in der stärkeren Einbeziehung von Patientinnen und Patienten in sie betreffende medizinische Entscheidungen. Die umfangreiche Information der Betroffenen kann die Fähigkeit zur Unterscheidung von notwendigen zu nicht notwendigen Gesundheitsleistungen schärfen.
Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde 2015 der Anspruch auf Einholung einer ärztlichen Zweitmeinung für gesetzliche Krankenversicherte in das Sozialgesetzbuch V verankert. Mandeloperationen und die operative Gebärmutterentfernung waren 2018 die ersten Interventionen, die in die Zweitmeinungsrichtlinie des G-BA aufgenommen wurden. 2019 folgte die Schulterarthroskopie, 2020 die Knie-Totalendoprothese, 2021 sollen Eingriffe an der Wirbelsäule und die Amputation beim diabetischen Fußsyndrom folgen.
Laut Gesetz zielt das Zweitmeinungsverfahren auf elektive, also planbare Eingriffe, bei denen "insbesondere im Hinblick auf die zahlenmäßige Entwicklung ihrer Durchführung die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen ist". Bei der Auswahl weiterer geeigneter Eingriffe für das Zweitmeinungsverfahren spielten daher die Mengenentwicklung und die regionale Praxisvariation in Deutschland sowie internationale Erfahrungen eine wichtige Rolle.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des G-BA seit April 2020 in einer internationalen Literaturrecherche kardiologische, kardiochirurgische sowie gefäßchirurgische Eingriffe und Untersuchungen, bei denen eine mögliche Überversorgung besonders intensiv diskutiert wird. Der so gewonnene Pool an elektiven Eingriffen diente den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anschließend als Ausgangsbasis für eigene empirische Analysen nach den folgenden Kriterien: Eingriffshäufigkeit, Mengendynamik, regionale Variation und Elektivität.
Die Auswertung und Kombination dieser Kriterien zeigte für die folgenden 15 Eingriffe und Eingriffsgruppen die deutlichsten Hinweise darauf, dass ein Zweitmeinungsverfahren für Patientinnen und Patienten eine Entscheidungsunterstützung bieten könnte:
Das IQWiG weist darauf hin, dass für die Erstellung des Rapid Reports – anders als für die ausgewertete Fachliteratur – kurzfristig nur empirische Daten für die stationäre Versorgung aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes verfügbar waren. Ein vollständiges Abbild der Versorgungssituation ergäbe sich für einige Eingriffe aber nur mit dem Einbezug der ambulanten Leistungserbringung durch niedergelassene Ärzte/Operateure.
Mit der PCI und der CABG sind zwei gegebenenfalls alternative und unterschiedlich invasive Therapieoptionen bei Herzkranzgefäßverengungen in der Auswahl enthalten, die in einem Zweitmeinungsverfahren fallweise gegeneinander abzuwägen und in einer Entscheidungshilfe für Patientinnen und Patienten entsprechend darzustellen wären, betonen die Autorinnen und Autoren des Berichts. Das Gleiche gelte für den Fall einer Erstdiagnostik einer stabilen chronischen koronaren Herzkrankheit (KHK), wo die noch überwiegend angewendete Herzkatheter-Untersuchung gegen eine weniger invasive Bildgebungsdiagnostik mit CT- und MRT-gestützten Prozeduren (Myokardperfusionsbildgebung) abzuwägen sei.
Eine differenzierte Nutzenbewertung der einzelnen für das Zweitmeinungsverfahren vorgeschlagenen Eingriffe und Prozeduren war im Rahmen dieses Projekts nicht möglich. Allerdings hat das Projektteam systematische Übersichten und evidenzbasierte Leitlinien recherchiert, die in vielen Fällen bei den zumeist schon länger angewendeten diagnostischen und therapeutischen Eingriffen und Prozeduren beurteilen ließen, wie gut belegt deren Nutzen ist. "Auch wenn noch weiterer Klärungsbedarf besteht, bildet der vorliegende Bericht eine solide Grundlage für weitere Auswahldiskussionen im Gemeinsamen Bundesausschuss", sagt IQWiG-Leiter Jürgen Windeler.