Gefahr nach dem Ampel-Aus: Gesundheit bleibt auf der Strecke

Chirurgie und Innere Medizin appellieren nach dem Ende der Ampel-Koalition: Krankenhausreform abschließen – eine weitere Hängepartie ist nicht zumutbar. Prof. Thomas Schmitz-Rixen, Generalsekretär der DGCH, erklärt die Risiken eines Stillstands.

Interview mit Prof. Thomas Schmidt-Rixen

esanum: Prof. Schmitz-Rixen, Sie und Kollegen warnen vor einem Reformstillstand, der jetzt zwischen Ampel-Ende und Neuwahl im Gesundheitswesen zu erwarten ist - was könnte auf der Strecke bleiben?

Prof. Schmitz-Rixen: Es geht vor allem um das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) und das Notfallgesetz. Das KHVVG hat schon den Bundestag passiert und ist als sogenannte Duldung in den Bundesrat gegangen. Dieser kann nun das Gesetz bei einer entsprechenden Mehrheit in den Vermittlungsausschuss verweisen. Findet sich im Bundesrat aber nicht die erforderliche Mehrheit für einen Verweis in den Vermittlungsausschuss, tritt das Gesetz am 1. Januar 2025 in Kraft. Wir befürworten das, auch wenn wir seitens der DGCH und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) einige Kritikpunkte an dem Gesetz haben. Für den Fall, dass es in den Vermittlungsausschuss geht, hat das Gesundheitsministerium schon durchblicken lassen, dass es dort nicht unbedingt durchgeht. Und danach müsste es ohnehin noch einmal durch den Bundestag - wenn dieser inzwischen neu gewählt sein sollte, könnte er nicht darüber entscheiden. Dann laufen wir in die befürchtete gesundheitspolitische Hängepartie.

esanum: Was genau befürchten Sie in der Folge?

Prof. Schmitz-Rixen: Wenn die Reformen nicht greifen, wenn also ein gesetzgeberischer Stillstand entsteht, dann geht das weiter, was momentan bereits stattfindet und für nächstes Jahr in noch größerem Umfang befürchtet wird: dass Krankenhäuser aus ökonomischen Gründen in die Insolvenz gehen und aus der Versorgungslandschaft verschwinden - ohne jegliche Planung. Das KHVVG sieht dagegen ja eine sinnvolle Planung vor. Das heißt, Krankenhäuser, die nicht überlebensfähig sind, sollen in Einrichtungen umgewandelt werden, die sich beispielsweise auf Dinge wie ambulante Versorgung oder Nachbehandlungen von schweren Erkrankungen und geriatrische Rehabilitation konzentrieren. Das wäre eine geplante Strukturänderung. Wenn aber der Prozess so wild weiterläuft wie aktuell, gehen nicht unbedingt die Häuser vom Netz, die verzichtbar wären, sondern gerade solche, deren Fehlen wehtut - also beispielsweise auf dem Land. Dann haben wir keine flächendeckende Versorgung mehr. Im KHVVG gibt es deswegen ein Planungstool, mit dem genau geschaut wird, welche Krankenhäuser was machen, mit welcher Häufigkeit und Qualität. Dem werden die Fahrwege der Patienten gegenübergestellt - sodass die flächendeckende Versorgung planbar wird. Dazu gehören auch ökonomische Parameter, wie etwa die Vorhaltepauschalen. Das alles liegt den Ländern vor und soll demnächst veröffentlicht werden. Das sind alles in allem gute Instrumente, sinnvoll vorzugehen. Die Reformen auf die lange Bank zu schieben, ist kontraproduktiv. Die praktische Umsetzung des Ganzen wird ohnehin nicht einfach. 

esanum: Was würde die Hängepartie für das Gesundheitssystem bedeuten?

Prof. Schmitz-Rixen: Wir diskutieren dieses komplexe Thema seit mindestens zwei Jahren. Wenn das jetzt weiter auf die lange Bank geschoben wird, ist der Schaden für alle Beteiligten groß. Wir, die Fachgesellschaften DGCH und DGIM, stehen für etwa 50 000 Mediziner - und wir  fühlen uns verantwortlich für unsere Patienten. Daher können wir jetzt nicht einfach stillhalten und abwarten, bis die Politik wieder handlungsfähig ist. Uns ist egal, welche Regierung das Thema anpackt. Hauptsache, es geht zügig. Aber es ist zu befürchten, dass nach der Wahl und der Regierungsbildung vor Herbst nichts passieren wird. 

Auch das Riesenthema Notfallgesetzgebung hat keine Zeit mehr. Da geht es um die Patientenströme. Die Notaufnahmen sind überflutet mit Patienten, die da gar nicht hingehören. Das muss neu geregelt werden. Es gibt nach langer Diskussion einen Gesetzentwurf. Aber das Verfahren war bisher noch gar nicht im Bundestag.

esanum: Was bedeutet all das mittel- und längerfristig?

Prof. Schmitz-Rixen: Wir brauchen dringend eine Steuerung unseres Gesundheitssystems. Denn die Babyboomer gehen in den nächsten zehn Jahren in Rente. Das beginnt jetzt. Wir haben also demnächst ein Drittel weniger Personal, sowohl bei Ärzten als auch beim Pflegepersonal - aber zugleich bald ein Drittel mehr Patienten. Denn auch Ärzte und Pflegerinnen wandern natürlich nach der Pensionierung zum Teil auf die Patientenseite. Das lässt sich berechnen. Und man muss damit anfangen, auf diese Tatsachen zu reagieren. Aber die absehbare Entwicklung wird zur Zeit noch totgeschwiegen.

esanum: Welche Impulse erwarten Sie von den anstehenden Reformen?

Prof. Schmitz-Rixen: Wir erhoffen uns von der Konzentrierung unserer Leistungen größere Effizienz. In den 1700 Krankenhäuser mit den gegenwärtigen Besetzungen können wir uns nicht mehr leisten - auch finanziell nicht. Wir haben bereits eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. Wenn jedes kleine Krankenhaus alles macht, was es aus regulatorischen Gründen darf, dann stimmt die Qualität nicht. Wenn sie einen komplexen Eingriff fünfmal im Jahr machen, dann ist das eindeutig schlechter, als wenn sie das fünfzig oder hundert mal machen. Allein durch die Routinen lassen sich sehr viel Zeit und Ressourcen sparen und auch der bürokratische Aufwand sinkt.

Die Konzentration der Krankenhäuser setzt zudem Personal frei, das woanders effektiver eingesetzt werden kann. Es gibt bereits aussagekräftige Folgenabschätzungen, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Dort zeigt sich, dass durch die Konzentration der Krankenhäuser die Fahrzeiten bei Notfällen um jeweils nur eine Minute verlängert werden. Und in den wenigen Regionen, wo sich weiße Flecken für Notfälle ergeben, kann man zielgenau vernünftige Krankenhausplanungen machen, also entweder ein kleines Krankenhaus weiter ausbauen oder ein neues errichten. Mit objektiven Daten wird das möglich. Vorausgesetzt, die entsprechende Gesetzgebung geht zügig weiter. Allerdings bin ich im Moment skeptisch, denn auf der aktuellen politischen Prioritätenliste ist kein einziges Gesundheitsthema enthalten. Leidtragende werden die Patienten sein.