Prof. Dr. Carsten Bokemeyer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, zu aktuellen Aufgaben und Zielen der DGHO.
Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie hat ihre Stellung als einer der wichtigsten Kongresse auf dem Gebiet der Krebs- und Bluterkrankungen im deutschsprachigen Raum weiter ausgebaut.
Vom 29. September bis zum 3. Oktober 2017 diskutierten rund 5.300 Expertinnen und Experten für medikamentöse Tumortherapie intensiv über die Chancen neuer therapeutischer Ansätze wie zum Beispiel der Immunonkologie sowie über die Bedeutung von unabhängigen akademischen Studien vor dem Hintergrund des enormen Wissenszuwachses im Fachgebiet.
esanum: Wo steht die DGHO derzeit?
Bokemeyer: Seit 80 Jahren existiert die DGHO. Anfangs noch ohne das O wie Onkologie im Titel. 1977 hat sie die Onkologie integriert und hatte nun vierzig Jahre lang die Chance, an einem massiven Entwicklungsschub von relevanten Ergebnissen aus der Grundlagenforschung und der Translation dieser Forschung in die Klinik teilzunehmen. Damit hat sich unsere Fachgesellschaft als Motor für den Innovationstransfer onkologischer Medikamente etabliert. Sie hat an der Entwicklung der Grundlagen teilgenommen, hat die ersten Studien zahlreicher neuartiger Medikamente für die Behandlung bösartiger Erkrankungen begleitet und einiges dabei entscheidend voran getrieben.
esanum: Was ist die aktuelle Aufgabe der Fachgesellschaft?
Bokemeyer: Auf der Basis dieser umfassenden Erfahrungen setzt sich die DGHO heute nicht nur für die Ausweitung und Verbesserung der Grundlagenforschung im Bereich bösartiger Erkrankungen, der Leukämien, der Lymphome und der soliden Tumoren ein, sondern ganz besonders auch für den Transfer dieser innovativen Therapien in die Breite der Versorgung – damit diese neuen Dinge bei allen Patienten ankommen. Die DGHO ist also eine Fachgesellschaft geworden, die sich um die wesentlichen Aspekte der medikamentösen Tumortherapien umfassend kümmert und damit auch darum, wie die Arzneimittelversorgung der Patienten gestaltet werden kann. In den letzten Jahren haben wir beispielsweise die Beschlüsse des GBA zur Bewertung neuer Arzneimittel für hämatologisch-onkologische Erkrankungen mitgestaltet. Das waren allein 22 vom letzten Oktober bis zum Oktober 2017. Die DGHO wird in diesem Prozess der Bewertung sehr gehört. Zusätzlich zur Bewertung, die der GBA vornimmt, haben wir ein eigenes Portal etabliert, wo wir diese Beschlüsse für unsere Kollegen noch einmal genau interpretieren, sowie nachfolgende Ergebnisse darlegen. Damit haben wir eine Plattform geschaffen, mit deren Hilfe man seine individuelle Therapieentscheidung optimal treffen kann.
esanum: In welcher Rolle sieht sich die DGHO in diesem Prozess?
Bokemeyer: Diese Arbeit der DGHO dient dazu, dass Kollegen optimale Informationen bekommen und das Zepter weiter in der Hand haben, um die passenden Therapien für ihre Patienten aussuchen zu können. Es ist das Mandat des Arztes, die Therapien festzulegen - gemeinsam mit dem Patienten. Es ist in unseren Augen nicht die Aufgabe des AMNOG-Verfahrens, regulierend in die Verordnungsweise einzugreifen. Die DGHO hat deswegen auch ein Leitlinienportal etabliert, an dem sehr viele mitarbeiten. Onkopedia Leitlinien hat jeden Monat ca. 100.000 Klicks. Das ist "crowd knowledge" im besten Sinne und kommt der optimalen Versorgung der Patienten in der Breite zugute.
esanum: Was tut die DGHO noch, um die Versorgung in der Breite zu verbessern?
Bokemeyer: Viele große klinische Studien, betrachten eine sehr definierte Population von Patienten in einer sehr definierten Situation. Aber in der Versorgung ergibt sich die Frage: wie funktioniert eine Therapie nach der anderen? Funktionieren die Therapien bei allen Patienten, auch bei Alten, auch bei Komorbiditäten? Dazu hat die DGHO mit Hilfe des Innovationsfonds ein Register aufgebaut, das ab dem nächsten Jahr an den Start gehen wird: Bei drei Modellkrankheiten - dem Prostatakarzinom, dem Mammakarzinom, und dem multiplen Myelom - wird der Krankheitsverlauf insgesamt dokumentiert. Damit werden auch solche Fragen beantwortet, wie Therapieverläufe in der Sequenz von Behandlungen aussehen. Das ist ganz konkrete Versorgungsforschung, die die Versorgung in der Breite verbessern soll.
esanum: Ein Mittel, bestimmte Studien kritisch zu ergänzen?
Bokemeyer: Auch. Ich glaube, dass wir insgesamt zu wenig Unterstützung für akademisch-klinische Studien in Deutschland haben. Wir brauchen Studien, die die Versorgungsrealität abbilden, die nicht nur bestimmte Kollektive befriedigen, die Pharmafirmen gerne sehen. Wir müssen einen Weg finden, solche unabhängigen Studien viel breiter anlegen zu können - etwa durch gemeinsame Finanzierungen vom Bund, von den Krankenkassen und weiteren öffentlichen Geldgebern, vielleicht auch gemeinsam mit der Industrie. Wir haben im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz bereits aktiv auf viele Dinge eingewirkt, sodass hoffentlich das Problem der Arzneimittelengpässe, jetzt vermieden werden kann.
esanum: Wie sehen Sie die künftigen Aufgaben?
Bokemeyer: Ich denke, dass sich die DGHO zukünftig intensiver und breiter in den nationalen Krebsplan einmischen wird. Der nationale Krebsplan hat konkrete Ziele: Die Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung, der onkologischen Versorgungsstrukturen, der Stärkung der Patientenorientierung – in all diesen Bereichen ist schon viel passiert, besonders bei der Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung mit dem Schwerpunkt Arzneimitteltherapie. Dazu hat man vor Jahren das AMNOG eingeführt - aber das kann nicht die einzige Maßnahme bleiben. Es gibt viele offenen Fragen, und wir suchen aktiv die Kooperation mit dem Bundesgesundheitsministerium, um in diesen Punkten auf den nationalen Krebsplan Einfluss zu nehmen. Denn sein wichtigstes Ziel unterstützen wir voll und ganz: alle Patienten erhalten einen fairen und schnellen Zugang zu nachweislich wirksamen und innovativen Krebstherapien. Das kann man nur unterschreiben. Es geht um die Förderung der klinischen Behandlung, die Förderung der Translation neuer Therapieoptionen in die Breite, den zeitnahen Nachweis der Wirksamkeit von Medikationen, die zuverlässige und zeitnahe Bewertung neuer Krebsmittel nach der Zulassung. Auch hier haben wir schon Vorschläge gemacht zu einer späten Arzneimittelnutzenbewertung, also nicht nur nach einem Jahr - um die evidenzbasierte, wirtschaftlich sinnvolle Therapie sicherzustellen. Es geht schließlich auch um nachhaltige Sicherung der Finanzierbarkeit medizinischer Produkte.