In Deutschland ist die Akzeptanz für telemedizinische Leistungen immer noch gering. Warum eigentlich und wie könnten bessere Bedingungen auch hierzulande geschaffen werden, um zukunftsfähige Formen ärztlicher Versorgung zu schaffen? Diesen Fragen stellt sich der 10. Nationale Fachkongress Telemedizin in Berlin. Um sie zu beantworten, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand: Die Schweiz geht seit fast zwanzig Jahren mit gutem Beispiel voran.
Es ist Freitag, früher Nachmittag. Die Familie freut sich aufs Wochenende, eigentlich ist alles gut, nur das Kind macht Sorgen, weil es heute besonders weinerlich ist. Vielleicht ist eine Erkältung im Anmarsch? Ein Bad soll helfen, danach eine warme Milch mit Honig und ab ins Bett. Nach dem Baden bemerken die Eltern die kleinen roten Knötchen an Kopf und Rumpf des Kindes, das jetzt auch Fieber hat. Für einen Besuch bei der Kinderärztin ist es schon fast zu spät, aber abzuwarten und dann am Wochenende in die Notfall-Ambulanz fahren zu müssen, ist auch keine Option. Also rufen Sie in der Praxis an und hören: "Es ist sehr voll, wenn Sie kommen wollen, dann müssen Sie sich sofort auf den Weg machen, aber bringen Sie viel Zeit mit." Gesagt, getan. Diese Situation kennen wahrscheinlich Millionen deutscher Familien und ebenso viele Arztpraxen. Krankheiten kann man eben nicht planen, und die Möglichkeiten in solchen Fällen sind - besonders für gesetzlich Versicherte - limitiert.
In der Schweiz ist das anders. Bereits seit 19 Jahren gibt es dort die Möglichkeit der Telekonsultation, die der persönlichen Konsultation gleichgestellt ist. Telecare ist das Stichwort, mit dem typische Erkrankungen wie die hier beschriebenen Windpocken, eine Bindehautentzündung oder auch Menstruationsbeschwerden mit bis zu über 80 Prozent abschließend behandelt werden können. Telefonisch oder über eine App können Patientinnen und Patienten rund um die Uhr einen Rückruftermin vereinbaren und zwischen Telefon- oder Videokonsultation wählen. Außerdem können Fotos hochgeladen werden, die die Diagnosestellung vereinfachen. Für die Firma Medgate AG aus Basel arbeiten beispielsweise über 100 Ärztinnen und Ärzte vieler Fachrichtungen und bieten Konsultationen in vier Sprachen an. Es werden digitale Behandlungspläne und Rezepte, Überweisungen und Verordnungen ausgestellt. Es besteht die Möglichkeit, eine Bewertung abzugeben und entsprechend Favoriten zu wählen, sozusagen Wunschärztin oder Wunscharzt für die nächste Konsultation. Diese Leistungen werden von allen Schweizer Krankenversicherungen anerkannt.
Neu sind auch in der Schweiz Managed-Care-Versicherungsmodelle, die im Grunde nach dem Hausarztmodell funktionieren. Hier informiert sich die Krankenversicherung über die Zugangswege. Dr. Timo Rimner, Leitender Arzt der Medgate AG Basel erklärt, wie das funktioniert: "Der Patient entscheidet sich analog zum Hausarztmodell immer die gleichen Ärzte zu kontaktieren, das heißt entweder Medgate oder eine Gruppenpraxis. Es kann, für den Fall dass eine persönliche Konsultation erforderlich ist, direkt der Name des Hausarztes eingegeben werden, damit ist den Anforderungen dann bereits genüge getan. Manchmal ist auch eine Apotheke dabei, also ein sogenannter Multi-Access ins Gesundheitssystem."
Dieser Multi-Access heißt, dass die Leistungserbringer miteinander vernetzt sind. Inhalte der Behandlungen bei Medgate werden an die Gruppenpraxis gemeldet - zukünftig wird das auch umgekehrt erfolgen - und Apotheken haben einen vereinfachten Zugang zu Medgate. Alle Beteiligten sind technisch an eine neu geschaffene Online-Patientenakte angebunden. In Zukunft soll der Datenaustausch auf technischer Ebene durch Schnittstellen erfolgen. Dies alles natürlich unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Bestimmungen.
Aus Patientensicht wird der Behandlungsservice durchweg positiv beurteilt. Umfragen der Medgate AG zufolge bestätigen 95 Prozent der Patientinnen und Patienten die Aussage "Der Arzt konnte mir weiterhelfen", 93 Prozent bestätigen, dass sie Vertrauen zum Arzt aufbauen konnten.
Die Vorteile für alle Beteiligten liegen auf der Hand: Das System ist einfach, es gibt einen schnellen, mobilen Zugang zu ärztlicher Versorgung rund um die Uhr, es ist darüber hinaus kosteneffizient und fortschrittlich, indem es auf die Bedürfnisse einer immer mehr digitalisierten Gesellschaft reagiert.
In Deutschland existieren ähnliche Dienste bislang nur für Selbstzahlende oder Privatversicherte. Ob - und wenn ja, wann - sich das ändern wird, ist noch nicht abzusehen. Die Medgate AG hat allerdings ihren Markteintritt in Deutschland bereits für dieses Jahr angekündigt.
Quelle: 10. Nationaler Fachkongress Telemedizin „Digital und kooperativ - Netzwerke statt Sektoren“, Berlin, 13./14. Januar 2020