Kongresspräsident Professor Dr. med. Markus M. Lerch, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des LMU-Klinikums München erklärt es an einem Beispiel: "Mit immer empfindlicheren Diagnosemethoden dringen wir in Bereiche vor, die prognostisch möglicherweise nicht mehr relevant sind." Ab welchem physiologischen Richtwert soll also Behandlungsbedürftigkeit beginnen? Welche Erkrankung soll eher chirurgisch, welche endoskopisch behandelt werden? Und, insbesondere mit Blick auf eine voranschreitende Digitalisierung, wie weit darf das Recht auf Leben und Gesundheit dem Datenschutz geopfert werden und umgekehrt? "Kontroverse Themen wie diese möchten wir auf dem Kongress intensiv diskutieren, etwa in entsprechenden Pro- und Contra-Symposien", sagt Professor Lerch.
Das Stichwort "Grenzen" meint also nicht nur: Was geht und wo sind Grenzen im medizinischen Handeln? Denn diese verschieben sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gerade ständig. Vielmehr lautet angesichts der rasant wachsenden medizinischen Möglichkeiten die Frage:
"Was bringt dem Patienten wirklich Lebensqualität zurück, und was entspricht letztlich dem Willen des Patienten? Sind wir bereit, auf die Prioritäten und Lebensentwürfe unserer Patienten einzugehen, selbst dann, wenn sie unserem Selbstbild als Heilenden entgegenstehen?"
Professor Dr. med. Markus M. Lerch
Die Einladung zur durchaus kontroversen Diskussion ist damit ausgesprochen.
In 750 Vorträgen soll auf dem Hybridkongress die gesamte Bandbreite der Inneren Medizin abgebildet werden.
Ein Themenschwerpunkt ist die Medizin am Lebensende. Wo verlaufen hier ethische, individuelle Grenzen? Was ist, wenn die Medizin mehr kann, als der Kranke sich wünscht? Wie können die Wünsche Sterbender möglichst gut umgesetzt werden? Und wie kann die Medizin hier kostendeckend agieren? Kann das gültige DRG-System überhaupt eine menschenwürdige Palliativmedizin fördern? Und was können und müssen Ärzte tun, um genau dafür zu sorgen?
Ist assistierter Suizid eine ärztliche Aufgabe? Und wie stellen sich Grenzfallentscheidungen in der Intensivmedizin dar, besonders in Bezug auf die viel diskutierte Überversorgung am Lebensende?
Auch die Digitalisierung nimmt erwartungsgemäß breiten Raum auf dem Kongress ein. Hier geht es u.a. darum, ob Datenschutz Menschenleben gefährdet. Der Kongresspräsident spricht in dem Zusammenhang von einem "Datendilemma" in der Patientenversorgung in Deutschland. Auch die jungen Ärzte steuern ihre besondere Sicht auf die Digitalisierung in der Medizin bei. Und Prof. Eckart von Hirschhausen, Moderator, Wissenschaftsjournalist und Ehrenmitglied der Fakultät der Charité, sowie Honorarprofessor an der Philipps-Universität Marburg, widmet sich den Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung.
Die Grenze zwischen gesund und krank ist nicht immer leicht zu definieren. Deswegen wird auch die Über‐, Unter‐ und Fehlversorgung von Patienten in den Blick genommen und die Frage aufgeworfen, wie durch diese das Gesundheitssystem belastet wird - und wie die DGIM mit ihrer Initiative "Klug entscheiden" hier gegensteuert.
Nicht verpassen: am 30. April 2022 berichtet esanum mit dem DGIM Kongress-TV tagesaktuell über den diesjährigen 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.