Orale Kontrazeption bei angeborenem Herzfehler: Welche Pille ist geeignet?
Mädchen und Frauen mit angeborenem Herzfehler haben einen besonderen Beratungsbedarf in Verhütungsfragen. Welche oralen Kontrazeptiva sind für sie geeignet?
Etwa 1 von 100 Kindern kommt mit einem Herzfehler zur Welt. Während die Letalität vor Einführung der chirurgischen Interventionen bei 80 % lag, überleben heute mehr als 95 % der Betroffenen das Kindes- und Jugendalter. Folglich wächst die Gruppe der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler (EMAH), die sich aus zunehmend älteren Patienten mit korrigierten, teilkorrigierten oder palliativ behandelten Herzfehlern zusammensetzt. Ihre Zahl wird in Deutschland auf über 180.000 geschätzt, neben etwa 120.000 Kindern.1
Frühzeitige Zusammenarbeit mit dem (Kinder-) Kardiologen ist gefragt
In der gynäkologischen Praxis verdient dieses Patientenkollektiv eine besondere Beachtung. Die möglichen Risiken und Komplikationen einer Schwangerschaft können die Gesundheit und das Leben von Mutter und Kind erheblich gefährden. Beispielsweise ist eine schwere pulmonal-arterielle Hypertonie (PAH), die bei komplexen, aber auch einfachen kongenitalen Herzfehlern mit Links-Rechts-Shunt auftreten kann, mit einer maternalen Mortalität von bis zu 50 % assoziiert. Bei Patientinnen mit mechanischer Klappenprothese ist das Erfordernis einer dauerhaften Antikoagulation Grund für erhöhte Komplikationsraten in der Schwangerschaft.2,3
Diese und zahlreiche weitere risikobehaftete Konstellationen machen eine frühzeitige, spezialisierte Schwangerschafts- und Kontrazeptionsberatung für alle EMAH-Patientinnen erforderlich, sobald sie das reproduktive Alter erreichen. Bei Kinderwunsch sollte eine multidisziplinäre Betreuung in Zusammenarbeit mit Kardiologen und EMAH-Spezialisten möglichst schon vor der Schwangerschaft beginnen. Ungeplante Hochrisikoschwangerschaften sind dagegen durch ein sicheres Verhütungsmanagement (Pearl-Index < 1) dringend zu vermeiden. 2,3,4
Cave: ungewollte Hochrisikoschwangerschaften!
Im Praxisalltag gestaltet sich die Kontrazeptionsberatung allerdings oft schwierig. Eine Befragung von 536 EMAH-Patientinnen an zwei deutschen Herzzentren hat vor einigen Jahren diverse Fakten ermittelt und dabei erhebliche Versorgungs- und Informationsmängel aufgezeigt5,6:
- Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Menarche: 13,0 Jahre;
- Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Kohabitarche: 17,0 Jahre (im Einzelfall 12 Jahre);
- kein Kontrazeptivum trotz sexueller Aktivität: 28 %;
- Anwendung kontraindizierter Kontrazeptionsmethoden: 20 %;
- ungewollte Schwangerschaft: 10 %;
- keine Information über die eigenen schwangerschaftsbedingten Risiken vom behandelnden Arzt: 48 %.
Bei der Auswahl der geeigneten Kontrazeptionsmethode sind folgende Faktoren zu berücksichtigen und individuell zu bewerten3:
- die kardiologischen Grundvoraussetzungen;
- die mit der jeweiligen Methode assoziierten Risiken;
- das individuelle Risiko der Patientin für vaskuläre Ereignisse;
- die zu erwartende Adhärenz der Anwenderin;
- ggf. weitere gynäkologische Risiken, wie z. B. eine Endometriose, Hyperandrogenämie oder Blutungsstörungen;
- ggf. internistische oder neurologische Begleiterkrankungen.
In der deutschsprachigen kardiologischen Leitlinie von 2008 heißt es: „Bei Frauen mit angeborenen Herzfehlern kann bei Beachtung entsprechender Kontraindikationen in nahezu allen Fällen eine effektive und verträgliche Empfängnisverhütung erfolgen, vorzugsweise mittels oraler Kontrazeptiva mit niedrig dosiertem Östrogenanteil.“7
Häufig erhöhtes Thromboembolierisiko
Mit „entsprechenden Kontraindikationen“ und Gründen für besondere Vorsicht ist allerdings bei etlichen EMAH-Patientinnen zu rechnen. Das liegt vor allem am häufig erhöhten Thrombembolierisiko, etwa bei
- PAH;
- zyanotischen Herzfehlern mit Erythrozytose;
- Kreislaufsituation nach Fontan-Operation (bei funktionell univentrikulärem Herz);
- mechanischem Klappenersatz;
- eingeschränkte systemische ventrikuläre Funktion;
- Herzinsuffizienz;
- Herzrhythmusstörungen (Vorhofflattern/-flimmern);
- bereits früher aufgetretenen Thromboembolien.
Kombinierte hormonale Kontrazeptiva sollten in diesen Fällen vermieden werden, da sie ihrerseits ein erhöhtes Risiko für venöse und arterielle Thromboembolien bedingen, das von einer Reihe von Faktoren abhängt (u. a. Body-Mass-Index, Alter, Immobilisation, Östrogendosis, Art des verwendeten Gestagens, Rauchen). Da Östrogene und Gestagene die Clearance von Cumarinen erhöhen können, ist bei EMAH-Patientinnen unter Antikoagulation eine INR-Kontrolle mit eventueller Dosisanpassung erforderlich.3,8
Auch die 2018 publizierten ESC-Leitlinien zum Management von kardiovaskulären Erkrankungen in der Schwangerschaft adressieren dieses Problem. Kontrazeptiva mit Ethinylestradiol werden bei Frauen mit hohem Thromboembolie-Risiko nicht empfohlen. Aufgrund ihrer blutdrucksteigernden Wirkung sind sie auch bei Anwenderinnen mit Bluthochdruck kontraindiziert. Stattdessen wird auf Gestagen-Monopräparate als Alternative verwiesen.4
Vorteile der Desogestrel-Minipille
Die moderne Minipille mit 75 µg Desogestrel erscheint aufgrund ihrer Vorteile für EMAH-Patientinnen besonders geeignet3,4,9:
- keine Hinweise auf ein erhöhtes Thromboembolie-Risiko;
- praktisch keine Beeinflussung von Gerinnungsfaktoren, Blutdruck und Lipid-Spiegeln (Gestagene als Implantat oder Depot-Injektion: geringe Beeinflussung);
- inhibierte Ovulation (zusätzlicher Vorteil für Patientinnen mit polyzystischem Ovarialsyndrom, Endometriose oder dyskunktionaler Uterusblutung).
Die knapp oberhalb der Ovulationshemmdosis liegende Gestagendosis sorgt für einen vergleichbar sicheren Verhütungsschutz wie bei kombinierten hormonellen Kontrazeptiva und für ein 12-Stunden-Zeitfenster bei vergessener Einnahme. Beides ist mit der herkömmlichen Minipille mit Levonorgestrel bzw. niedrig dosiertem Gestagen nicht gegeben und lässt ihre Anwendung bei EMAH-Patientinnen obsolet erscheinen.3
Bevorzugter Einsatz in der Praxis
Frei von Nachteilen ist allerdings auch die Desogestrel-Pille nicht: Im Vergleich zu einem Kombinationspräparat können vermehrt Zwischenblutungen auftreten, während ein antiandrogenes Wirkpotenzial fehlt. Die Vor- und Nachteile sind in Zusammenhang mit der kardialen Grunderkrankung und unter Berücksichtigung der Gesamtsituation sorgfältig und gemeinsam mit der Anwenderin abzuwägen.
In einem kürzlich in Der Gynäkologe erschienenen Beitrag heißt es abschließend im „Fazit für die Praxis“ jedenfalls3: „Gestagen-Monoverfahren haben ein deutlich niedrigeres venöses Thromboembolierisiko als Kombinationspräparate und werden vermutlich bevorzugt zum Einsatz kommen.“
- Deutsche Herzstiftung (Hrsg.). Deutscher Herzbericht 2018. www.herzstiftung.de/herzbericht
- Tutarel O et al. Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern: Was zu beachten ist. Dtsch Arztebl 2018;115(13):[26]
- Schemm S, Schemm A. Kontrazeption bei Frauen mit angeborenen Herzfehlern. Gynäkologe 2019;52(6):463-72
- Regitz-Zagrosek V et al. 2018 ESC Guidelines for the management of cardiovascular diseases during pregnancy. Eur Heart J 2018;39(34):3165-241
- Vigl M et al. Contraception in women with congenital heart disease. Am J Cardiol 2010;106:1317-21
- Kaemmerer M et al. Counseling reproductive health issues in women with congenital heart disease. Clin Res Cardiol 2012;101(11):901-7
- Schmaltz AA et al. Medizinische Leitlinie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) der deutsch-österreichisch-schweizerischen kardiologischen Fachgesellschaften. Clin Res Cardiol 2008;97:194-214
- Kaemmerer H, Nagdyman N. Verhütung und Herzfehler. Herzblatt 02/2014:22–7
- Lidegaard Ø et al. Hormonal contraception and risk of venous thromboembolism: national follow-up study. BMJ 2009;339:b2890
Abkürzungen:
ESC = European Society of Cardiology
INR = International Normalized Ratio