Virale Konkurrenz oder was gegen eine Tripledemic spricht

Einige Evidenz spricht dafür, dass respiratorische Viren einander in ihrer Ausbreitung behindern.

Maximale Kozirkulation mehrerer Viren führt zu hemmenden Wechselwirkungen zwischen ihnen

Virale Kollision: warum Viren sich gegenseitig das Leben schwer machen

Auch wenn Wellen bestimmter Viren jede Saison für volle Wartezimmer sorgen können, eröffnet der Artikel anhand von Stimmen aus der Fachpresse sowie epidemiologischen Studien eine Rationale dafür, dass eine Dominanz bestimmter Viren zu einzelnen Zeitpunkten das wahrscheinlichere Szenario ist als ein Duo oder Trio synchron kulminierender Viren.

Stellen wir es uns wie ein Spektrum vor. In jeder Saison ist eine Mischung von Viren im Umlauf, der Artikel nennt die häufigsten: Influenzaviren, Rhinoviren, Adenoviren, Coronaviren, RSV. Kommt einer hinzu, müssen die anderen Konkurrenten ein wenig Platz machen. Nehmen wir einen weg, wird die entstandene "Nische" von einem anderen ausgefüllt. Untereinander vertragen sie sich nicht gut, erklärt der Virologe Richard Webby, ein Grippeforscher am St. Jude Children's Research Hospital. "Es ist unwahrscheinlich, dass sie zur gleichen Zeit verbreitet zirkulieren." Während der Omicron-Welle in Hongkong im März waren andere respiratorische Viren wie verschwunden und tauchten erst im April wieder auf, berichtet Ben Cowling von der University of Hong Kong. Ähnliches war zu unterschiedlichen Zeiten andernorts zu beobachten. Beispielsweise "verdrängten" Rhinovirus-Infektionen in 2009 die Influenza (H1N1).1

Interferon-Antwort kann dem Wirt eine vorübergehende Immunität verleihen 

Einer der Gründe für diese virale Interferenz: infizierte Menschen produzieren (die passend bezeichneten) Interferone. Jedes Virus löst eine Interferon-Antwort aus und jedes Virus ist für sie empfänglich, jedenfalls zu einem gewissen Grade. Andere Dinge spielen dabei natürlich auch eine Rolle, wie die Immunität in der Population und wann der Erreger das letzte Mal im Umlauf war. Interferone können die körpereigenen Abwehrkräfte weitreichend erhöhen und vorübergehend eine bevölkerungsweite Immunbarriere gegen nachfolgende Viren, die auf das Atmungssystem abzielen, herstellen, erklärt Immunologin Ellen Foxman von der Universität Yale, die die Überlagerung zwischen SARS-CoV-2 und anderen Viren in einem Labormodell der menschlichen Atemwege untersucht hat.1

Bereits in einer 2020 erschienen Studie hatte ihr Team PCR-Tests auf 10 verschiedene Viren an 13.000 Erwachsenen durchgeführt und bei 7% Rhino- oder Influenza A-Viren gefunden – aber nur 0,6% von ihnen testeten positiv auf beide Erreger.2 Auch in Laborversuchen an Organoiden brachten Rhinoviren das Wachstum von Influenza-A-Viren fast zum Erliegen. Die Studie zeigte, dass die Infektion mit Rhinoviren zur Expression von unzähligen Interferon-abhängigen Genen führte. Wurden die Organoide mit Medikamenten behandelt, welche die Zellen daran hinderten, eine Interferon-Antwort zu produzieren, gediehen die Influenzaviren.1

Ebenso konnte die davon unabhängige, bis dato größte Studie 2019 durch PCR-Tests auf 11 Virusfamilien bei mehr als 36.000 Personen in Großbritannien über einen Zeitraum von 9 Jahren mehrere solcher Beispiele für virale Interferenzen zeigen. Unter anderem erreichen die Infektionen mit Rhinoviren und Influenza A zu entgegengesetzten Zeiten jeweils ihre Höchst- und Tiefststände.1,3

Welche Interaktionen könnte SARS-CoV-2 mit anderen Viren haben?

Foxmans Team resümierte seinerzeit in einer Publikation im Lancet Microbe: "Diese Ergebnisse zeigen, dass ein Atemwegsvirus die Infektion mit einem anderen durch Stimulierung der antiviralen Abwehrkräfte in der Atemwegsmukosa blockieren kann, was die Idee untermauert, dass die Interferenz des Rhinovirus die IAV-Pandemie 2009 in Europa unterbrochen hat. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass virale Interferenzen den Verlauf einer Epidemie beeinflussen können, und diese Möglichkeit sollte bei der Entwicklung von Maßnahmen für saisonale Grippeepidemien und die laufende COVID-19-Pandemie berücksichtigt werden."2

Kurzum: Virale Interferenzen können eine Reihe bedeutender Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Doch mehrere der im Beitrag genannten Wissenschaftler benennen Engpässe bei Forschungsgeldern als Limitation für große Bevölkerungsstudien. Es gibt zwar Evidenz aus experimentellen Studien an Organoiden und Zellkulturen, dass das Rhinovirus mit SARS-CoV-2 interferieren kann und dass Influenza A und SARS-CoV-2 sich gegenseitig blockieren4,5, aber robuste epidemiologische Daten einer normalen Vermischung können wir eigentlich erst diesen Winter erstmalig erwarten, so die Forscher, und diverse Studien laufen an verschiedenen Orten weltweit. Das allgemeine "social distancing" und das Tragen von Masken in vielen Ländern bedeuteten, dass es bisher kaum eine Chance gab, Interferenzen in Aktion zu sehen und es zirkulierten fast keine anderen Atemwegsviren, führt Virologe Guy Boivin von der Laval University aus.1 Außerdem verfügt SARS-CoV-2 über Abwehrmechanismen gegen Interferone, einschließlich der Hemmung ihrer Produktion, was seine Interaktionen mit anderen Viren beeinträchtigen könnte.6
 

Quellen:
  1. Cohen, J. Competition between respiratory viruses may hold off a ‘tripledemic’ this winter. doi: 10.1126/science.adf8978 https://www.science.org/content/article/competition-between-respiratory-viruses-may-hold-tripledemic-winter.
  2. Wu, A., Mihaylova, V. T., Landry, M. L. & Foxman, E. F. Interference between rhinovirus and influenza A virus: a clinical data analysis and experimental infection study. The Lancet Microbe 1, e254–e262 (2020).
  3. Nickbakhsh, S. et al. Virus–virus interactions impact the population dynamics of influenza and the common cold. Proceedings of the National Academy of Sciences 116, 27142–27150 (2019).
  4. Fage, C., Hénaut, M., Carbonneau, J., Piret, J. & Boivin, G. Influenza A(H1N1)pdm09 Virus but Not Respiratory Syncytial Virus Interferes with SARS-CoV-2 Replication during Sequential Infections in Human Nasal Epithelial Cells. Viruses 14, 395 (2022).
  5. Cheemarla, N. R. et al. Dynamic innate immune response determines susceptibility to SARS-CoV-2 infection and early replication kinetics. J Exp Med 218, e20210583 (2021).
  6. Zanoni, I. Interfering with SARS-CoV-2: are interferons friends or foes in COVID-19? Curr Opin Virol 50, 119–127 (2021).

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