Best of ERS mit Prof. Claus Franz Vogelmeier: Kardiovaskuläre Risiken und innovative Therapien

COPD-Durchbrüche und neue Biologika, aber enttäuschende Ergebnisse bei Atemnot: Ein Rückblick auf den ERS Congress.

Interview mit Prof. Claus Franz Vogelmeier

esanum: Professor Vogelmeier, wenn Sie auf den diesjährigen ERS Congress zurückblicken, welche drei Sitzungen oder Präsentationen haben Sie am meisten beeindruckt und warum? Gab es neue Forschungsergebnisse oder Ansätze, die Ihrer Meinung nach einen signifikanten Einfluss auf die klinische Praxis haben könnten?

Prof. Claus Vogelmeier: Das erste große Thema, das beim Kongress einen beachtlichen Raum eingenommen hat, ist das Thema kardiovaskuläre Komplikationen bei COPD. Damit sind ganze Sitzungen gefüllt gewesen. Das Problem, um das kurz zu umreißen, ist, dass Patienten nach einer COPD-Exazerbation im weiteren Verlauf schwere kardiovaskuläre Komplikationen entwickeln können. Das Risiko ist massiv erhöht im Zusammenhang mit der Exazerbation. Und die Frage ist, kann man die Patienten in irgendeiner Form davor schützen? Zu dieser Frage hat eine holländische Gruppe sehr interessante Daten von 100 Allgemeinarztpraxen in den Niederlanden präsentiert. Diese haben untersucht, welchen Nutzen es hat, wenn man Patienten mit COPD bezüglich ihres kardiovaskulären Risikoprofils evaluiert und daraufhin eventuell eine Behandlung beginnt, z.B. mit einem Lipidsenker und/oder einem Antihypertonikum. Dabei stellte sich heraus, dass das eine Menge bringt, Patienten nach einer Exazerbation davon sehr profitieren können und deutlich seltener kardiovaskuläre Ereignisse nach dieser Akutproblematik entwickelt haben, wenn sie eben vorher bezüglich kardiovaskulärer Risikofaktoren evaluiert und behandelt worden sind.

Biologika bei COPD: Fortschritte mit Dupilumab 

Das zweite sehr interessante Thema waren die Biologika bei COPD, also biologische Therapien, die wir jetzt schon eine ganze Weile vom schweren Asthma her kennen. Es gibt inzwischen eine Menge Untersuchungen, die entweder noch laufen oder gerade abgeschlossen wurden im Zusammenhang mit der COPD. Eine der Substanzen, Dupilumab, hat inzwischen von der EMA eine Zulassung für die Behandlung von ausgewählten bCOPD-Patienten erhalten. Und da wurden auf dem Kongress in einer Sitzung nochmal die wesentlichen Daten aus zwei großen Phase-III-Studien in der Zusammenschau präsentiert. Es zeigte sich eben eindrücklich, dass die Exazerbationsrate gesenkt werden kann, dass die Patienten eine bessere Lungenfunktion haben und dass sich auch ihr Befinden gemessen mit der Lebensqualität signifikant besser war als in der Vergleichsgruppe.

Benralizumab als Alternative zur Steroidtherapie bei akuten Exazerbationen von Asthma und COPD

Und die dritte Präsentation - für mich eigentlich das Aufregendste auf dem Kongress - war ein Abstract aus dem Vereinigten Königreich. Die Frage war hier, gibt es vielleicht eine bessere Therapie für akute Exazerbation von Asthma und COPD als die bisher immer durchgeführte systemische Steroidtherapie. Und dazu hat man Benralizumab getestet, also einen Anti-IL-5-Rezeptor-Antikörper. Es wurde folgendes Design gewählt: Man hat Patienten ausgewählt, die erhöhte eosinophile Granulozyten im Blut hatten und Asthma oder COPD. Haben sie eine Exazerbation entwickelt, dann hat man sie in drei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe hat nur Cortison erhalten, die zweite Gruppe hat nur Benralizumab erhalten und die dritte Gruppe hat beides bekommen. Es wurde dann im weiteren Verlauf geprüft, ob die Patienten ein Rezidiv dieser Exazerbation entwickelt haben. Dabei hat sich gezeigt, dass die mit Benralizumab behandelten Gruppen signifikant besser waren als die Cortison-Gruppe. Das ist zunächst nur mal ein erster Befund dahingehend, dass es etwas Besseres geben könnte als Cortison in akuten Exazerbationen von Asthma und COPD.

Es ist jedoch noch Vorsicht geboten, denn es handelt sich erst um eine einzelne Studie. Das muss natürlich repliziert werden. Das zweite Problem ist, dass diese Patienten zuvor ausgewählt und charakterisiert wurden. Es war also klar, dass diese erhöhte eosinophile Granulozyten haben und damit für eine solche Therapie grundsätzlich in Betracht kommen. Es bleibt auch noch zu klären, wie man dies in einer Notfallsituation bei noch unbekannten Patienten umsetzt. Wir wissen, dass die bisherige Praxis, den Patienten immer Steroide zu geben, vor allem wenn es häufiger geschieht, durchaus erhebliche Probleme im Langzeitverlauf verursachen kann. Daher wäre eine erfolgreiche Weiterentwicklung dieser neuen Therapie sehr wünschenswert. In Summe war der Kongress aufregend und interessant. Es gab viele bemerkenswerte Präsentationen, aber diese drei, die ich gerade geschildert habe, waren für mich die persönlichen Highlights.

esanum: Welche aktuellen Entwicklungen in der Therapie von Atemwegserkrankungen, die auf dem ERS Congress vorgestellt wurden, halten Sie für besonders vielversprechend? Wie könnten diese neuen Erkenntnisse die Behandlung von Patienten mit Atemwegserkrankungen in Klinik und Praxis verbessern?

Prof. Claus Vogelmeier: Das müsste man jetzt zweiteilen. Im Bereich Asthma ist ein neuer Antikörper, ein neues Biologikum vorgestellt worden, das man nur noch alle sechs Monate geben muss. Das hat im Vergleich zum Placebo hervorragend funktioniert. Dabei handelt es sich um einen Anti-L5-Antikörper, und geht in die gleiche Richtung wie Mepolizumab, hat aber eine komplett andere Pharmakokinetik und muss deswegen nur noch zweimal im Jahr gegeben werden. Das heißt, hier gibt es eine Tendenz dahingehend, sozusagen neue pharmakokinetische Modalitäten zu finden, die seltenere Applikationen brauchen.

Im Bereich der COPD bewegt sich im Moment sehr viel, da eine Menge an Studien zum Thema Biologika bei COPD laufen. Man sollte etwas vorsichtig sein, da vieles noch unklar ist, da die bisher verfügbaren Daten bei den meisten Biologika überwiegend aus Phase-II-Studien stammen. Es zeigt sich jedoch, dass bestimmte Patientengruppen beispielsweise von einer Therapie mit Anti-IL-33 profitieren könnten, einem sogenannten Anti-Alarmin. Dies würde völlig neue Therapieansätze eröffnen, da hierbei potentiell nicht mehr nur Symptome behandelt und Komplikationen verhindert werden, sondern eine endotyp-basierte Therapie zum Einsatz käme. Damit würde bei frühzeitigem Therapiebeginn die Chance bestehen, den natürlichen Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Allerdings ist das momentan noch Zukunftsmusik. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die laufenden großen Phase-III-Studien liefern werden.

esanum: Gab es auf dem diesjährigen ERS Congress auch Themen oder Entwicklungen, die aus Ihrer Sicht enttäuschend waren oder hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind? Was hätten Sie sich in diesen Bereichen anders gewünscht?

Prof. Claus Vogelmeier: Ja, wir alle haben große Hoffnungen darauf gesetzt, dass wir eine bessere Behandlung finden würden für Patienten, die unter schwerer Atemnot leiden. Gerade bei Patienten mit schwerer COPD ist das ein großes Problem. Da haben wir bisher nicht so viele Möglichkeiten. Wir können Opiate einsetzen, allerdings sind diese in höheren Dosierungen mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Sauerstoffgabe, Atemphysiotherapie oder der Einsatz kleiner Ventilatoren sind ebenfalls Optionen, jedoch nur bedingt wirksam. Auf dem Kongress wurde eine sehr aufwändig durchgeführte Studie vorgestellt, in der das Antidepressivum Mirtazapin zur Linderung von Atemnot getestet wurde. Leider zeigte sich dabei keine positive Wirkung. Also absolut kein Effekt feststellbar auf das Ausmaß der Atemnot, das die Patienten erlebt haben. Dies war sicher für mich die große Enttäuschung des ERS Congress.

Mehr Highlights vom ERS-Kongress 2024 finden Sie in unseren CME-Fortbildungen.