Es scheint zuweilen schwieriger, unseren eigenen Flüssigkeitshaushalt in den Griff zu bekommen als den unserer Schützlinge. Vom British Medical Journal gibt es jährlich eine Weihnachtsausgabe, in der ausgefallene und lustige Studien veröffentlicht werden, wie: Welche Fachrichtung bekommt die meisten Strafzettel? (nicht die Nephrologen, wir berichteten) Machen Fußbäder mit hochprozentigem Alkohol wirklich betrunken? Wie prävalent ist das Phantom-Vibrations-Syndrom bei medizinischem Personal? Und welche Effekte haben Schnaps, Tee oder Wein auf die gastrische Funktion beim Essen von Käsefondue?
Eine gute Studie aus einer solchen Ausgabe näherte sich vor einigen Jahren auf lockere Weise einem ernsteren Thema.
Die Studie an einem Haus der Maximalversorgung in London erfasste die Urinausscheidung der jungen Diensthabenden (1. Jahr bis Facharztreife) während ihrer Schichten auf einer allgemeinen Intensivstation mit 17 Betten und verglich diese mit der ihrer Patienten.1 Die Urinausscheidung im Ärzteteam war schlechter und sie war signifikant häufiger oligurisch (Odds Ratio 1,99; p = 0,03). Da man natürlich niemandem ein Arbeiten mit Blasenkatheter zumuten wollte, war Oligurie der Praktikabilität halber als mittlere Urinausscheidung <0,5 ml/kg/Stunde über einen Zeitraum von sechs oder mehr Messstunden definiert. In Bezug auf die ärztlichen Schichten, in denen die Urinproduktion gemessen wurde, trat Oligurie in 22% der Fälle ein und akutes Nierenversagen bei einem weiteren Prozent (wenn die Oligurie für > 12 konsekutive Stunden anhielt).
Dieses Ergebnis ist etwas überraschend, da die möglichen Gründe für eine Oligurie in der Patientenpopulation weitaus zahlreicher gewesen wären (Hypoperfusion, akute oder chronische Nierenschäden, Harnwegsobstruktion).
Die meisten von uns werden das in irgendeiner Form kennen. Wenn man nach langer Zeit im Dienst doch einmal auf Toilette geht, denkt man: "Wenn Patientenurin so konzentriert wäre, würde man sich gemüßigt fühlen, aktiv zu werden." Erstaunlich ist auch, wie viel Flüssigkeit man zu Hause erst einmal nachfüllen kann, ohne ein Mal aufs WC zu müssen.
"Ich denke jeden Tag an diese Studie, wenn es 16 Uhr ist und ich merke, dass ich noch gar nicht auf Toilette war", twittert ein pädiatrischer Assistenzarzt aus New Jersey. Ein Assistenzarzt auf der neonatologischen Intensivstation des Uniklinikums South Carolina pflichtet bei: "Ich habe seit über einer Woche tagsüber nicht gepullert."4
Zeitdruck und schlechtes Kantinenangebot erschwert adäquate Flüssigkeitszufuhr und gesunde Ernährung während fordernder Arbeitstage
Dass das Personal oft Schwierigkeiten hat, für adäquate Hydrierung zu sorgen, trifft natürlich für alle mit Patientenkontakt zu, insbesondere auch für die Pflegekräfte. Eine weitere amerikanische Studie an ärztlichem und pflegerischem Personal ergab, dass 45% am Ende ihrer Schicht dehydriert waren und 41% oligurisch. Die mittlere Urinosmolalität war bei Dienstende signifikant höher als zu Beginn (720 versus 622 mOsm/kg, p = 0,031) und ein standardisierter Kurzzeitgedächtnistest fiel bei Dehydrierten signifikant schlechter aus.5
"Regelmäßiges Essen und Trinken ist ein entscheidender Faktor, um stets 'optimiert' zu sein", schreibt ein langjähriger Allgemeinmediziner in einem Kommentar für das BMJ und fordert, dass Krankenhäuser nicht nur alle Hindernisse beseitigen sollten, die die Angestellten daran hindern, während des Arbeitstages zu essen und zu trinken, sondern adäquate Pausen aktiv fördern sollten.2
Die Alltagsrealität sieht leider oft ganz anders aus. In einer Erhebung, noch vor der Coronakrise, gaben bereits 59% der Pflegekräfte und 40% der Ärzte an, während des Arbeitstages keine Pause einlegen zu können, um zu essen und zu trinken. Pflegekräfte legen dabei im Durchschnitt 4,5 bis 9,5 km pro Schicht zurück.6 Wenn das Aufsuchen von Pausenräumen nicht möglich ist, erscheint es auch wenig hilfreich, dass dem Personal in vielen Kliniken das Trinken von Wasser im Patientenbereich nicht gestattet ist.7 Hinzu kommt insbesondere in Neubauten und OP-Bereichen mit schlecht eingestellten Klimaanlagen die extrem trockene Luft.
Fazit
Vielen Unternehmen ist längst klar, dass ausgelaugtes Personal schlechtere Leistungen erbringt, unkonzentriert arbeitet, mehr Fehler macht und häufiger krank wird. Studien haben immer wieder bestätigt, dass selbst geringe Wasserdefizite im Körper die Leistungsfähigkeit, die Kognition und die Stimmung nachteilig beeinflussen.8 Untersuchungen aus Flugsimulatoren zeigen eine relevante Einschränkung von Arbeitsgedächtnis, räumlicher Wahrnehmung und Fluggenauigkeit unter Deyhdrierung.9
Angesichts des Personalmangels und der hohen Prävalenz von Burnout im medizinischen Bereich wäre es nicht nur wünschenswert, sondern dringend, dass neben Problemen, die mit der hohen Arbeitsbelastung sowie der Struktur und Länge der Schichten zu tun haben, auch Grundbedürfnisse wie Pausen, Schlaf und Flüssigkeitszufuhr und deren Auswirkungen auf die Arbeitsleistung und das Wohlbefinden adressiert werden.10
- Solomon, A. W. et al. Urine output on an intensive care unit: case-control study. BMJ 341, c6761 (2010).
- Brennan, P. A., Oeppen, R., Knighton, J. & Davidson, M. Looking after ourselves at work: the importance of being hydrated and fed. BMJ 364, (2019).
- Roncal-Jimenez, C., Lanaspa, M. A., Jensen, T., Sanchez-Lozada, L. G. & Johnson, R. J. Mechanisms by Which Dehydration May Lead to Chronic Kidney Disease. Ann Nutr Metab 66 Suppl 3, 10–13 (2015).
- Urine output on an intensive care unit: case-control study. https://bmj.altmetric.com/details/101738709/twitter.
- El-Sharkawy, A. M. et al. Hydration amongst nurses and doctors on-call (the HANDS on prospective cohort study). Clin Nutr 35, 935–942 (2016).
- Oliver, D. David Oliver: Staff hydration matters more than keeping up appearances. BMJ 368, l7088 (2020).
- Rest, Rehydrate, Refuel | Royal College of Nursing. The Royal College of Nursing https://www.rcn.org.uk/Professional-Development/publications/pub-006703 (2018).
- Lai, J. C.-Y. & Manis, D. Hydration and meal habits of physicians and medical learners: a literature review. Eur J Nutr 61, 3345–3356 (2022).
- Lindseth, P. D., Lindseth, G. N., Petros, T. V., Jensen, W. C. & Caspers, J. Effects of hydration on cognitive function of pilots. Mil Med 178, 792–798 (2013).
- Hamidi, M. S., Boggild, M. K. & Cheung, A. M. Running on empty: a review of nutrition and physicians’ well-being. Postgraduate Medical Journal 92, 478–481 (2016).