SSRIs sind aufgrund ihres günstigen Sicherheitsprofils und ihrer Wirksamkeit bei der Behandlung von Depressionen weit verbreitet. Es gibt jedoch Hinweise darauf
, dass SSRIs wegen ihrer thrombozytenaggregationshemmenden Wirkung das Risiko schwerer Blutungen erhöhen, und zwar bereits zwei bis drei Wochen nach Therapiebeginn.1 Während das absolute Blutungsrisiko bei alleiniger SSRI-Einnahme in der Regel gering ist, kann eine gleichzeitige Behandlung mit oralen Antikoagulanzien (OAKs) das Auftreten von Blutungen begünstigen.
Welchen Effekt hat die Kombination von SSRIs und OACs?
Dies bestätigt nun eine große britische Erhebung mit 331.305 Probanden. Die bevölkerungsbasierte Fall-Kontroll-Studie1 umfasste Patienten und Patientinnen mit Vorhofflimmern, die zwischen 1998 und 2021 mit OACs behandelt wurden. Innerhalb dieser Kohorte wurden Fälle mit schweren Blutungen mit einer Kontrollgruppe ohne Blutungsereignisse verglichen, um das Risiko der gleichzeitigen Einnahme von SSRIs und OACs zu bewerten. Die Probanden nahmen die SSRIs Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin oder Sertralin ein; zu den angewandten OACs zählten Apixaban, Dabigatran, Edoxaban, Rivaroxaban und Warfarin. Der primäre Endpunkt war die Inzidenzrate (IRR) von Krankenhauseinweisungen und Todesfällen aufgrund von Blutungen. Zudem wurde untersucht, ob das Risiko je nach Einnahmedauer, Alter, Geschlecht, SSRI-Stärke, OAC-Wirkstoff und anderen Risikokriterien (chronische Niereninsuffizienz, Blutungsereignisse in der Anamnese) variierte.1
Blutungsgefahr steigt signifikant
Die Daten belegen, dass die gleichzeitige Einnahme von SSRIs und OACs das Potenzial für schwere Blutungen um 33 Prozent steigerte.1 Dieses Risiko war vor allem in den ersten 30 Tagen nach Therapiestart erhöht (IRR:1,74; 95 Prozent KI:1,37-2,22). Auch in den sechs Monaten ab Behandlungsbeginn blieb die Blutungsgefahr höher als bei Patienten, die nur OACs einnahmen. Das Risiko war unabhängig von anderen Faktoren wie der Stärke des SSRI oder der Art des OACs (direktes OAC oder Vitamin-K-Antagonist) erhöht.1
Praxistipp: Was ist bei der Kombination von OACs und SSRIs zu beachten?
Angesichts dieser Ergebnisse sollten Ärzte bei der gleichzeitigen Verschreibung von SSRI und OAC besondere Vorsicht walten lassen und Maßnahmen zur Risikominimierung ergreifen:1
- Zur Früherkennung des Risikos schwerer Blutungen sind engmaschige Kontrolluntersuchungen in den ersten Monaten der Behandlung unerlässlich.
- Direkte OACs bevorzugen: Studienergebnisse2,3 zeigen, dass direkte OACs ein geringeres Potenzial für pharmakokinetische Interaktionen mit SSRIs haben als Vitamin-K-Antagonisten. Letztere werden auch in verschiedenen Leitlinien4-6 zur Behandlung von nicht-valvulärem Vorhofflimmern gegenüber den direkten OACs bevorzugt.
- Eine weitere Option ist die begleitende Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren zur Verhinderung gastrointestinaler Blutungen.
SSRIs und OACs vorsichtig anwenden
Die gleichzeitige Einnahme von SSRIs und OACs birgt vor allem in den ersten Monaten der Therapie ein erhöhtes Risiko für schwere Blutungen. Diese Wirkstoffkombination sollte deshalb besonders bedacht verordnet und engmaschig überwacht werden. Eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung ist in jedem Fall erforderlich, um die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.
- Rahman AA, Platt RW, Beradid S, Boivin J, Rej S, Renoux C. Concomitant Use of Selective Serotonin Reuptake Inhibitors With Oral Anticoagulants and Risk of Major Bleeding. JAMA Netw Open. 2024;7(3):e243208. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.3208
- Sansone RA, Sansone LA. Warfarin and antidepressants: happiness without hemorrhaging. Psychiatry (Edgmont). 2009;6(7):24-29.
- Galgani A, Palleria C, Iannone LF, et al. Pharmacokinetic interactions of clinical interest between direct oral anticoagulants and antiepileptic drugs. Front Neurol. 2018;9:1067. doi:10.3389/fneur.2018.01067
- Hindricks G, Potpara T, Dagres N, et al; ESC Scientific Document Group. 2020 ESC guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio Thoracic Surgery (EACTS): the Task Forcefor theDiagnosis and Management of Atrial Fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC. EurHeartJ. 2021; 42(5):373-498. doi:10.1093/eurheartj/ehaa612
- January CT, Wann LS, Calkins H, et al. 2019 AHA/ACC/HRS focused update of the 2014 AHA/ACC/HRS Guideline for the Management of Patients With Atrial Fibrillation: a report of the American College of Cardiology/ American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines and the Heart Rhythm Society in Collaboration With the Society of Thoracic Surgeons. Circulation. 2019;140(2):e125-e151. doi:10.1161/CIR. 0000000000000665
- Andrade JG, Aguilar M, Atzema C, et al; Members of the Secondary Panel. The 2020 Canadian Cardiovascular Society/Canadian Heart Rhythm Society comprehensive guidelines for the management of atrial fibrillation Can J Cardiol. 2020;36(12):1847-1948. doi:10.1016/j.cjca.2020.09.001