Behandlung von Verwandten und Freunden: ja oder nein?

Ein medizinischer Ratschlag für die Tante, ein Rezept für die Mutter, ein Check up für den besten Freund – viele Ärzte behandeln hin und wieder auch Verwandte und Freunde. Doch ist das wirklich eine gute Idee?

Die Studie im Überblick:

Schwieriges Dilemma

Medizinische Anfragen aus dem Verwandten- und Freundeskreis können Ärzte vor ein Dilemma stellen. Einerseits möchten sie gerade nahestehenden Menschen helfen, andererseits sehen sie sich ich einem möglichen Rollenkonflikt befangen. Dahinter steht eine normativ-ethische Frage, die nicht leicht zu beantworten ist.

Francisca Beigel und ihr Team vom Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, Hannover, haben Argumente für und gegen diese gängige Praxis gesucht. Dabei fanden sie Gründe auf der Mikro- und Makroebene menschlicher Beziehungen. Während die Mikrosoziologie soziale Interaktionen auf persönlicher Ebene, etwa im direkten Arzt-Patienten-Kontakt, untersucht, beschreibt die Makrosoziologie größere soziale Strukturen wie z. B. das Gesundheitswesen im Ganzen. 

Pro: großes Vertrauen und bestmögliche Behandlung

Auf beiden Ebenen fanden die Forscher gewichtige Argumente für und gegen die Behandlung nahestehender Personen. 

So sprechen auf der Mikroebene das große Vertrauen und der Wunsch nach der bestmöglichen Versorgung dafür. Auf der Makroebene spielt etwa die Zweckmäßigkeit eine Rolle. Die direkte Behandlung durch den ärztlichen Freund oder Bruder kann den Zugang zur medizinischen Versorgung erleichtern und helfen, Versorgungshindernisse zu überwinden.

Contra: mangelnde Objektivität und Patientenautonomie 

Auf der anderen Seite wirft ein enges persönliches Verhältnis zwischen Arzt und Patient auch ethische Probleme auf. Mikrosoziologisch wird häufig eine mangelnde Objektivität angeführt. Auch die ärztliche Schweigepflicht, das informierte Einverständnis und die Patientenautonomie können gefährdet sein. Darüber hinaus können Abstriche bei der körperlichen Untersuchung und Kompromisse bei der Therapie die Behandlungsqualität mindern. Makrosoziologisch problematisch wird es dann, wenn der Arzt seine Angehörigen und Freunde bevorzugt und andere Patienten vernachlässigt.

Leitlinien sind skeptisch

Die wenigen ethischen Leitlinien zum Thema wie die der American Medical Association (AMA), der Australian Medical Association und der Canadian Medical Association halten sich eher bedeckt und raten Ärzten in der Regel davon ab, ihnen nahestehende Personen zu behandeln. Einigkeit besteht jedoch bei bestimmten Ausnahmen. Dazu gehören Notfälle, die mangelnde Verfügbarkeit von Ärzten in abgelegenen Regionen sowie leichte Erkrankungen. Hier kann die Behandlung durch den befreundeten Arzt sinnvoll sein.

Fazit für die Praxis

Obwohl ein Großteil der Ärzte angibt, schon einmal Verwandte oder Bekannte behandelt zu haben, wird in der Literatur und in einschlägigen Leitlinien mehrheitlich davon abgeraten. Eine universelle Antwort darauf wird sich kaum finden, zu individuell und unterschiedlich sind die jeweiligen Umstände. Gleichwohl ist eine breite ethische Diskussion notwendig, damit Ärzte in diesem heiklen Bereich ethisch fundierte Entscheidungen treffen können. 

Quelle: