Sport zur Diabetes-Remission: Was hilft wirklich?
Sport auf Rezept für Diabetespatienten? Studien haben den Nutzen und Effekt von körperlicher Aktivität auf die Diabetesremission untersucht. Peter Kurz vom DAPM zieht nun ein Fazit.
Interview mit Dr. Peter Kurz
Molekulare und physiologische Grundlagen
Schon seit mehreren Jahren ist bekannt, dass Glucose nicht passiv durch ein Konzentrationsgefälle aus dem Blut in die Zelle aufgenommen wird – sondern dafür ist ein aktiver Mechanismus erforderlich: Diese sogenannten Glucose-4-Transporte (GLUT4) befinden sich in der Zellmembran. Darüber hinaus gibt es ein Reservoir an Reservevesikel innerhalb des Cytoplasmas mit vielen weiteren dieser GLUT4-Moleküle.
GLUT4-Translokation durch Muskelkontraktion
In einer dänischen Studie1 wurde anhand von Tierversuchen gezeigt, wie es gelingt, diese GLUT4-Transporte aus den Reservevesikel in die Membran zu bekommen. Dazu hat man die Muskulatur von Ratten isoliert und in mehreren Tests untersucht, wie die Konzentration der GLUT4-Transporte durch 1.) Muskelkontraktion und durch 2.) Insulin aufgenommen wird. Die Ergebnisse zeigen, dass es sowohl durch Kontraktion und Stimulation als auch durch Insulinzufuhr in beiden Fällen gelingt, die Konzentration zu erhöhen. Beide Versuche zeigen eine deutliche Steigerung der GLUT4-Transporte in der Membran.
Studie untersucht Translokation durch Training
Um diese Testergebnisse auf den Menschen auszuweiten, untersuchten Forschende in einer weitere Studie2 5 Typ-2-Diabetespatienten sowie 5 untrainierte Nicht-Patienten anhand einer offenen Muskelbiopsie aus dem M. vastus medialis im Anschluss einer mehrwöchigen Trainingsperiode. Das Ergebnis zeigt einen deutlichen Anstieg der GLUT4-Transporte. Bereits nach einmaligem Trainingsergebnis ließ sich nachweisen, dass körperliche Aktivität die Konzentration der GLUT4 in der Zellmembran verdoppelt.
Epidemiologische Aspekte
Es gibt einige wissenschaftliche Diskussionen darüber, warum körperliche Aktivität zu einer Steigerung der GLUT4-Transporte beiträgt. Die aktuelle Arbeitshypothese lautet, dass wahrscheinlich die Temperatur des Muskels die Glukoseaufnahme zu vervielfachen hilft.
Effekt von Ausdauer auf Diabetes
Dahingehend aufbauend, untersuchte die EPIC-Studie3 – eine prospektive Kohortenstudie aus dem Jahr 2021 – den Zusammenhang von Radfahren und Mortalität anhand von 7459 Diabetespatienten. In allen Subanalysen zeigte sich das gleiche Muster: die Gruppe der Körperlich-aktiven schnitt grundsätzlich besser ab als die Gruppe der Untrainierten.
Als Fazit lässt sich erkennen, dass körperliche Aktivität das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen vermindert und dadurch die Mortalitätsrate bei Diabetespatienten senkt.
Minimum an sportlicher Leistung
Es stellt sich für viele Diabetespatienten immer wieder die Frage: Was ist das Minimum, das ich machen muss, um den maximalen Effekt rauszuholen?
Peter Kurz zitiert dafür eine italienische Studie mit dem Titel “Make Your Diabetic Patients Walk”4, die im Umfang von 2 Jahren die körperliche Aktivität von 179 Diabetespatienten – auf die Woche hochgerechnet – erfasste.
Das Ergebnis war eindeutig: ein Minimum von 35 Minuten Spazierengehen hat bereits einen positiven Effekt auf den HbA1c-Wert, den Blutwert sowie den Cholesterinwert. Für den maximalen Effekt sollten Diabetespatienten 55-65 Minuten am Tag spazieren gehen.
Ausdauertraining und Kraftsport bei Diabetes mellitus
Eine weitere randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie5 untersuchte 251 Typ-2-Diabetespatienten (39-70 Jahre), die nicht sportlich aktiv waren und keine Insulintherapie in Anspruch nahmen. Diese wurden im Rahmen der Untersuchung in 4 Gruppen mit unterschiedlichen Trainingsplänen aufgeteilt. Endpunkt war die Beobachtung, wie sich der HbA1c-Wert nach 6 Monaten entwickelt.
Umfang:
-
Ausdauer: moderater Beginn mit 15-20 Minuten bei 65% HFmax, Steigerung auf 45 Minuten bei 75% Hfmax (= oberer GA-I-Bereich).
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Kraft: 7 Übungen, kontinuierliche Steigerung, 7-9 Wiederholungen, je 2-3 Sätze.
-
Ausdauer + Kraft: höherer Zeitaufwand, da beide volle Trainingseinheiten nacheinander.
-
Kontrollgruppe: Rückkehr zu früherer, geringer Aktivität wie vor Beginn der Studie.
Ergebnisse:
Werte
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Alle
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Ausgangs-HbA1c > 7,5%
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Kontrollgruppe
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0,07
|
-0,02
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Ausdauer
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-0,30
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-0,49
|
Kraft
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-0,43
|
-0,83
|
Audauer + Kraft
|
-0,09
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-1,42
|
Peter Kurz zieht ein klares Fazit: Die ideale körperliche Aktivität zur Diabetesremission umfasst sowohl ein Ausdauer- als auch ein Krafttraining.
ESC-Guidelines 2020 zur körperlichen Aktivität
Die oben genannten Ergebnisse flossen sogar in die ESC-Guidelines 2020 ein, da Diabetespatienten immer häufiger einem kardiovaskulären Erkrankungsrisiko unterliegen. Die Guidelines sehen vor: ein Krafttraining von 3x pro Woche (mindestens) sowie ein moderates bis anspruchsvolles Ausdauertraining an 5-7 Tagen in der Woche (jeweils 30 Minuten am Stück).
Sportempfehlung nach Clusterzugehörigkeit
Cluster 2: ca. 15-20%, angeborene Störung der schnellen Insulinausschüttung
- Ausdauertraining: mindestens 1 Stunde täglich
- Kraftausdauertraining: 60min / Woche
Cluster 3: ca. 15% genetisch bedingte, schwere Insulinresistenz (HOMA1-index >8)
- Ausdauertraining: 3-4x wöchentlich, je 30-60 Minuten
- Kraft- (Hypertrophie-)Training: 3x 60min / Woche (Schwerpunkt)
Cluster 4: ca. 20% moderate bis starke Insulinresistenz (HOMA1-Index 3-6)
- Ausdauertraining: 5-6x30min / Woche, alternativ 3x 60 min / Woche
- Kraft- (Hypertrophie-) Training 2x 60min / Woche
Cluster 5: 35-40%, leichte bis moderate Insulinresistenz (HOMA1-Index 2-4)
- Täglich 60min Walking (Zügiges Gehen)
- Kraftausdauertraining: 60min / Woche und/oder Gleichgewichtsübungen/Krafttraining
Weitere Highlights vom DDG 2023 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.
Dr. med. Peter Kurz
Dr. med. Peter Kurz ist Facharzt für Innere Medizin, Ernährungsmedizin und Sportmedizin. Am Standort München leitet er die Dr. Scholl Prevention First GmbH.
- Lund S et. al. PNAS 1995; 92: 5817-5821.
- Kennedy, J W et al, Diabetes 1999; 48: 1192-1197.
- JAMA Intern Med, doi: 10.10001/jamainterned.2021.3836 (July 19, 2021)
- DI Loreto C et. al. Diabetes Care 2005, 28: 1295-1302.
- Sigal RJ, Ann Int Med 2007, 147: 357-369