esanum: Prof. Sehouli, die Charité-Mayo-Konferenz ist inzwischen bekannt auch für ihre starke kulturelle Komponente. Was haben Sie und Ihre Mitstreiter sich für dieses Jahr einfallen lassen?
Prof. Sehouli: Wir werden Teilnehmer aus über 100 Ländern begrüßen - alle kostenlos. Das Scientific Board sowie ausgewählte Referenten werden vor Ort in Berlin sein, so dass wir es von hier aus zentral in die Welt streamen können. Die Veranstaltung dauert bis 20 Uhr - und dann wird sie mit einem Live-Auftritt von dem prominenten Berliner Rapper Yonii abgeschlossen. Da wir einen globalen Dialog wollen, wird danach alles 24 Stunden gestreamt, damit unsere Veranstaltung auch auf der anderen Seite der Weltkugel gehört wird. Das ist einzigartig!
esanum: Was ist der medizin-wissenschaftliche Hintergrund der Veranstaltung?
Prof. Sehouli: Sowohl die gynäkologische Onkologie als auch die Brustkrebstherapie erfahren gerade durch die personalisierte Medizin eine rasante Dynamik mit den neuesten operativen, aber vor allem auch mit den neuesten zielgerichteten Krebsmedikamenten. Deswegen ist die Diskussion auf dem jährlichen Kongress so wichtig, um die Standards sowohl global als auch national zu reflektieren. Denn die Leitlinien kommen angesichts der rasanten Entwicklungen meist gar nicht mehr hinterher. Während die Leitlinien alle paar Jahre aktualisiert werden, liefert die Wissenschaft nahezu jedes Jahr neue Therapiemöglichkeiten. Daher ist der klinisch-orientierte Dialog für alle Beteiligten so enorm wichtig. Im Fokus stehen die Charité und die Mayo-Klinik in Rochester und weltweite Experten kommen zum Dialog dazu. Wir zeigen die neuesten Standards der Charité und der Mayo-Klinik und sehen dann, wie es in den anderen Exzellenzzentren der Welt aussieht. Eingebunden sind unter anderem das Memorial Sloan Kettering Cancer Center New York, das Instituto dei Tumori Milan, das Marie Curie Institut in Paris, die Stanford University, das Imperial College in London, aber auch Kliniken aus Afrika, Asien, aus Middle East und der Türkei.
esanum: Und welche wissenschaftlichen Schwerpunkte werden behandelt?
Prof. Sehouli: Es geht darum, wohin die Reise geht, aber was sich auch sofort ändern muss, welche klinischen Anforderungen in der Diagnostik und Therapie wir für unsere Patientinnen umsetzen müssen. Dieses Jahr sind besonders die molekulare Diagnostik und die zielgerichteten Therapieoptionen im Fokus, das heißt, dass z.B. auf Basis von Tumor-Gewebe-Analysen die Therapiestrategien sowohl für die operative als auch die medikamentöse Therapie definiert werden. Für den Brustkrebs geht das schon seit Längerem so. Neu ist, dass die Leitlinien für den Gebärmutterkörperkrebs gerade im europäischen und globalisierten Kontext aktualisiert werden. Es geht um die sogenannten molekularen Typen, die absolut unterschiedliche Risikokonstellationen aufweisen und auch eine unterschiedliche Therapiestrategie erfordern. Zum Beispiel werden so für die Eignung einer Immuntherapie ganz wichtige Informationen geliefert. Ein weiterer sehr wichtiger Schwerpunkt wird die Bedeutung der Anti-Drug-Conjugate sein - eine neue Substanzklasse, die eine neuartige Medikamentenstrategie bei allen soliden Tumoren darstellt. Beim Brustkrebs sind die ADCs schon eingeführt und jetzt gibt es ausgesprochen vielversprechende Daten auch für die gynäkologischen Tumore Eierstockkrebs und Gebärmutterkörperkrebs. Die Substanzen lassen sich in die Tumorzelle einschleusen und setzen dort ein Krebsmedikament frei - es ist also eine neue Strategie zwischen Chemotherapie und Immuntherapie. Neben den Checkpoint-Inhibitoren, den PARP-Inhibitoren kommt damit jetzt eine neue Dynamik in die gynäkologische Onkologen. Mirvetuximab beispielsweise ist seit November 2022 in den USA für das platinresistente Ovarial-Karzinom zugelassen und wird Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres auch für Europa erwartet. Die Substanz zeigt in einer sehr schwierigen Krankheitssitiuation einen Überlebensvorteil.
esanum: Gibt es weitere therapeutische Schwerpunktthemen?
Prof. Sehouli: Und eine weiterer Schwerpunkt ist dieses Jahr das Thema Prehabitation. Es geht darum, wie ich die Patientin auf eine Operation oder medikamentöse Therapie vorbereite und zwar umfangreich - im Sinne der Aufklärung, im Hinblick auf körperliches Training und der Korrektur von Stoffwechseldefiziten, wie Salz- und Proteinverlusten und in Bezug auf Anämie. Hierzu haben wir ein spezielles multimodales Konzept der Prehabilitation entwickelt. Wie man das am besten macht, zeigen wir als Team aus Charité und Mayo-Klinik im Rahmen eines Intensiv-Workshops. Es wird wieder ein großartiges Event, das verspricht Jalid Sehouli.
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jalid Sehouli ist Direktor der Klinik für Gynäkologie mit Zentrum für onkologische Chirurgie (CVK) und der Klinik für Gynäkologie (CBF) der Charité Universitätsmedizin Berlin sowie Leiter des Gynäkologischen Tumorzentrums und Europäischen Kompetenzzentrums für Eierstockkrebs (EKZE). Zudem ist er Mitbegründer der Deutschen Stiftung für Eierstockkrebs und des Forums für Gynäkologische Onkologie.