Die Initiative "Attacke. Gemeinsam gegen Kopfschmerz" soll vor allem Hausärzte darauf aufmerksam machen, bei der Diagnosestellung auch an Migräne zu denken. Denn eine Migräne muss sich nicht immer schmerzhaft bemerkbar machen, Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz. Warum war die Initiative notwendig? Gibt es bereits Erfolge? Das beantwortete Dr. Tim Jürgens beim Interview im Rahmen des Berlin Brain Summit 2022.
Jürgens und viele seiner Kollegen wissen, dass die Versorgung von Migräne-Patienten in Deutschland nicht optimal ist. Das fängt für ihn an bei der richtigen Diagnosestellung, geht über die Einleitung einer wirksamen Akuttherapie bis hin zur prophylaktischen Therapie. Das Zielpublikum der Kampagne "Attacke" sind die primären Ansprechpartner der Kopfschmerzpatienten: die Hausärzte. Und in einigen Jahren seien die angestoßenen Effekte hoffentlich zu bemerken. Hausärzte wünschen sich beim Thema Kopfschmerz mehr Expertise, darüber hatten wir bereits im April berichtet.
Das Kopfschmerz-Register ist eine Sammlung mit Daten von 1.500 Kopfschmerz-Patienten. Sie soll die aktuelle Versorgungsrealität in Deutschland beurteilen und auch zeigen, wie häufig monoklonale Antikörper in der Kopfschmerztherapie in der Praxis zum Einsatz kommen. Die Möglichkeit einer ersten Auswertung der Daten sieht Jürgens allerdings erst frühestens zum Ende des Jahres 2022.
Jürgens geht davon aus, dass die Diagnosestellung durch das Kopfschmerzregister mehr Aufmerksamkeit bekommt und genauer wird. Durch die Teilnahme am Kopfschmerzregister würden die medizinische Vorgeschichte des Patienten und die Kopfschmerz-Vorgeschichte im speziellen sorgfältiger werden, weil eine Diagnose eingetragen werden muss.
Für die multimodale Kopfschmerztherapie bei chronischen Kopfschmerzen ist es wichtig, dass psychologische, psychiatrische und psychotherapeutische Kompetenz, physiotherapeutische und manualtherapeutische Kompetenz und Kompetenz in der neurologischen Schmerztherapie zusammenkommen und sich gegenseitig ergänzen und unterstützen, um wirklich wirkungsvoll zu sein und Komorbiditäten zu verhindern.
Jürgens zieht dazu eine US-Studie heran, die sich 1:1 auf Deutschland übertragen lasse und nach der die Defizite bereits in der Praxis beginnen. Kollegen müssten die Migräne-Patienten dazu motivieren, ihr Problem als solches zu sehen und sich weiter untersuchen zu lassen, nur dann könne man ihnen helfen. Weitere Defizite gebe es bei der Diagnosegenauigkeit und beim Einsatz der bereits jetzt verfügbaren Migräne-Medikamente. Nur 15 Prozent der Kopfschmerz-Patienten bekämen aktuell eine Prophylaxe und eine Akuttherapie.
PD Dr. med. Tim Jürgens ist Neurologe für Spezielle Schmerztherapie und seit Januar 2021 Chefarzt der Klinik für Neurologie am KMG Klinikum Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Vorher war er Leiter des Kopfschmerzzentrums der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Rostock. Seit 2021 ist er zudem Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft DMKG.