Tumorkachexie ist mit schlechterer Therapie-Toleranz, Lebensqualität und Überleben sowie mit progredienten funktionellen und immunologischen Defiziten assoziiert. Bisher gibt es keinen Therapie-Standard – jedoch einige Optionen. Das Timing ist allerdings entscheidend.
Neben der Neoplasie selbst und den Therapie-Nebenwirkungen gehören die Begleiterscheinungen der Tumorkachexie – wie Schwäche, Fatigue und Inappetenz – sicherlich zu den Dingen, unter denen Patienten am meisten leiden.
Auch aus Sicht der Behandler ist die Kachexie problematisch, führt sie doch zu aggravierter Toxizität und Therapiekomplikationen, häufigeren Verzögerungen und Dosisreduktionen und geht mit insgesamt schlechterem Outcome einher.
Dennoch unterbleiben häufig rechtzeitiges aufmerksames Assessment und Intervention – vielleicht aus dem Empfinden heraus, dass es an Optionen mangelt.
Geringere Nahrungsaufnahme und vom Tumor induzierte Störungen metabolischer und neurohormoneller Prozesse führen zu systemischer Inflammation, erhöhtem Energieumsatz und einem Überwiegen abbauender Stoffwechselvorgänge. Gastrointestinale Nebenwirkungen des Tumors oder der Therapie tragen das ihrige zu ungewolltem Gewichtsverlust bei.
Besonders gefährdet sind Patienten mit Neoplasien von Pankreas, Ösophagus, Magen, Lunge, Leber und Darm – diese Malignome sind übrigens für die Hälfte aller Krebstodesfälle weltweit ursächlich.1
Diverse Mediatoren aus Tumorzellen und Tumormikroumgebung (Entzündungs- und Immunzellen) sowie Störungen des endokrinen, zentralnervösen und metabolischen Systems bewirken
Wirkstoffe mit spezifischen Targets, die der Überaktivierung kataboler Stoffwechselprozesse, zellulären Schäden oder Inflammation entgegenwirken sollen, werden derzeit intensiv erforscht. Bisher ist jedoch kein Medikament zugelassen oder verfügbar, welches imstande wäre, die Kachexie effektiv umzukehren – daher sollten supportive Maßnahmen einsetzen, bevor drastischer Gewichtsverlust eintritt.
Zentraler Punkt ist ein adäquates Ernährungsmanagement, das der ineffizienten Nährstoffverwertung Rechnung trägt.1 Von verschiedenen Herstellern stehen hochkalorische, eiweißreiche Trinknahrungen, Pulver und Cremes, die zugleich mit Vitaminen und Spurenelementen angereichert sind, zur Verfügung (z. B. Supportan®, Forticare®).
Wie eine aktuelle Studie bestätigt, haben viele Patienten jedoch keinen Zugang zu einer Ernährungstherapie von guter Qualität.2 Sekundäre Ursachen für Anorexie (wie Schmerzen, Übelkeit, Depression) sollten ebenfalls berücksichtigt werden.
Ein dem Leistungsniveau des Patienten angepasstes gemäßigtes körperliches Trainingsprogramm kann die Aufrechterhaltung der Muskelkraft unterstützen und Muskelschwund reduzieren3 und wirkte sich zudem in mehreren Untersuchungen günstig auf die Lebensqualität aus.4 Dies kommt über die durch körperliche Aktivität erzeugten metabolischen Veränderungen zustande.
Patienten – auch solche mit grenzwertigen oder normalen Hämoglobin-Werten – könnten außerdem von einer EPO-Gabe (Erythropoetin) profitieren. Dies steigert nicht nur die Erythrozyten-Zahl und damit die metabolische und körperliche Leistungsfähigkeit, sondern war in Kombination mit aerobem Training im murinen Modell in der Lage, Muskelschwund signifikant zu reduzieren (durch Senkung der Produktion des prokachektischen Zytokins IL-6).4
Die ω-3-Fettsäuren EPA und DHA modulieren als potenzielle Zytokin-Inhibitoren katabole inflammatorische Zustände und – wenn auch nicht als Einzelwirkstoff-Therapie zu verstehen – zeigten in randomisierten Placebo-kontrollierten Studien (als Fischöl "pur" oder als Bestandteil einer Flüssignahrung, wie den oben genannten) positive Wirkungen auf Appetit, Gewichtszunahme und Performance Status.3 Aufgrund des überschaubaren Nebenwirkungsprofils schlagen ASPEN und ESPEN (American Society for Parenteral and Enteral Nutrition/ European Society for Clinical Nutrition and Metabolism) ω-3-FS als Option vor. Dosierungen von 600 mg/d bis 3.6 g/d unterstützen laut eines systematischen Reviews die Konstanthaltung oder sogar Zunahme des Gewichtes während Chemotherapie oder Radiatio, minimieren oder verbessern den Verlust fettfreier Körpermasse und steigern die Lebensqualität (gemessen an körperlichen Funktions-Scores und Allgemeinzustand). Kombinierte Einnahme von bis zu 5g/d DHA und EPA ist für die meisten Erwachsenen als unbedenklich einzustufen.
Für Appetit-Stimulantien (Progesteron-Analoga, Olanzapin, Mirtazapin), β-Blocker, Anabolika und andere Zytokin-Inhibitoren (Thalidomid, Pentoxifyllin, Melatonin) sind die Studienergebnisse bislang durchwachsen.3
Viele Arbeiten evaluieren einzelne Wirkstoffe – wahrscheinlich wird die Lösung jedoch nie in einer Monotherapie bestehen, sondern in einer multimodalen Herangehensweise.
Auch hierzu gibt es positive Ergebnisse, z. B. aus einer randomisierten Placebo-kontrollierten Studie, die durch Kombination von anti-inflammatorischer Therapie (Coxib) mit L-Carnitin, Curcumin und Lactoferrin die metabolischen und immunologischen Phänomene der Kachexie sowie die Lebensqualität verbessern und die Tumor-Anämie korrigieren konnte.4
Weitere aussichtsreiche Strategien sind eine Modulation der Darmflora, Blockade der übermäßigen Fettsäureoxidation in der Skelettmuskulatur und Senkung des Protein-Abbaus, letzteres z. B. durch Gabe von Substanzen wie HMB (β-Hydroxy-β-Methylbutyrat, ein Metabolit der essentiellen Aminosäure Leucin).4
Selektive Androgen-Rezeptor-Agonisten, Anti-Myostatin Peptide und Ghrelin-Agonisten werden unterdessen als gezielte Therapien untersucht.4
Anamorelin beispielsweise, ein selektiver Ghrelin-Rezeptor-Agonist, hat appetitsteigernde und anabole Effekte und bewirkte in zwei doppelblinden Phase-III-Studien bei kachektischen Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC eine signifikante Verbesserung von Körpergewicht und Symptomlast bei guter Verträglichkeit.5 Allerdings kam es zu keiner messbaren Verbesserung der Muskelkraft (die ja nicht linear von der Muskelmasse abhängt).
Ghrelin ist ein im GIT gebildetes Neuropeptid, das an der Regulation von Hunger- und Sättigungsgefühl sowie Fett-Akkumulation und Energieumsatz beteiligt ist. Der Ghrelin-Rezeptor vermittelt außerdem die Freisetzung von Wachstumshormon.
Da es bislang keinen spezifischen Biomarker für Muskelschwund gibt, werden – all dieser Optionen zum Trotz – viele Patienten nicht oder erst dann behandelt, wenn sie bereits unter erheblichem Gewichtsverlust oder starken Limitationen in den Aktivitäten des Alltags leiden. Bei adipösen Patienten kann der Muskelabbau (das Kardinalsymptom der Kachexie, nicht der Gewichtsverlust!) maskiert sein. Bei betagten Patienten, die bereits vor der Tumorerkrankung ausgezehrt sind, verschlimmert sich der Muskelschwund und wird ggf. durch die Therapie zusätzlich verschärft.
Jeder an der Behandlung solcher Patienten beteiligte Arzt kann dazu beitragen, dass diese Problematik nicht hintangestellt wird.
Referenzen:
1. Baracos, V. E., Martin, L., Korc, M., Guttridge, D. C. & Fearon, K. C. H. Cancer-associated cachexia. Nature Reviews Disease Primers 4, 17105 (2018).
2. Maschke, J. et al. Nutritional care of cancer patients: a survey on patients’ needs and medical care in reality. Int J Clin Oncol 22, 200–206 (2017).
3. Mattox, T. W. Cancer Cachexia: Cause, Diagnosis, and Treatment. Nutr Clin Pract 32, 599–606 (2017).
4. Argilés, J. M., López-Soriano, F. J., Stemmler, B. & Busquets, S. Novel targeted therapies for cancer cachexia. Biochem. J. 474, 2663–2678 (2017).
5. Currow, D. et al. ROMANA 3: a phase 3 safety extension study of anamorelin in advanced non-small-cell lung cancer (NSCLC) patients with cachexia. Ann. Oncol. 28, 1949–1956 (2017).