Der Placebo-Effekt funktioniert auch umgekehrt – Ärzte können ihre Patienten mit Optimismus (oder auch dem Fehlen desselben) anstecken.
Wir wissen einiges darüber, wie wichtig die Geisteshaltung und Wahrnehmung des Patienten für dessen eigenen Therapieerfolg sind. Doch wie steht es umgekehrt? Hat es einen merklichen Einfluss, ob der Behandler selbst glaubt, dass es funktionieren wird?
Eine Ende 2019 in der Zeitschrift Nature publizierte Arbeit beantwortet diese Frage mit: ja! Auch, wenn wir unsere Erwartungen nicht immer bewusst oder verbal mitteilen.1–3
Normalerweise arbeiten klinische Studien doppelblind und placebokontrolliert, um einen Einfluss der Erwartungshaltung zu vermeiden. Forscher des Dartmouth College machten in klinischen Simulationsstudien genau das Gegenteil: sie wollten herausfinden, ob Patienten eine Therapie als wirksamer empfinden, wenn ihre Behandler selbst von deren Wirksamkeit überzeugt waren.
Hierzu teilten sie 194 Studenten per Zufall in die Gruppe der Behandler oder Patienten ein.
Den Behandlern präsentierten sie zwei Salben gegen einen thermischen Schmerzreiz am Unterarm. Eine stellten sie als "Thermedol" und die andere als "Kontrollpräparat" vor und forderten die Behandler auf, ihr Schmerzempfinden mit beiden Salben zu bewerten. Die beiden Cremes unterschieden sich überhaupt nicht, aber die Behandler kamen zu der Überzeugung, dass Thermedol besser wirke. Was die Teilnehmer nicht wussten: im Zusammenhang mit Thermedol war ihnen einfach ein geringerer thermischer Reiz verabreicht worden (43 °C versus 47 °C beim Kontrollpräparat).
Nun testeten die Forscher, ob sich die gewonnene Überzeugung, dass eine Creme effektiver sei, auf einen Probanden übertragen würde, dem die Salben nicht bekannt waren.
Die Patienten erhielten zwar alle den gleichen Schmerzreiz (47 °C), doch sie empfanden weniger Schmerzen, wenn der Behandler überzeugt war, das wirksamere Mittel zu verabreichen. Zudem war dann eine geringere physiologische Reaktion auf den Schmerzreiz messbar (Hautwiderstand).
Mittels Kameras und spezieller Software werteten die Untersucher die Mimik der Teilnehmer aus. Wie viel Schmerz der Behandler in seinem Gesicht ausdrückte, beeinflusste die Schmerzbewertung des Patienten und dessen eigene Mimik.
"Wenn der Behandler dachte, dass die Therapie wirken würde, nahmen ihn die Patienten als empathischer wahr. Der Arzt ist vielleicht als herzlicher oder aufmerksamer herüber gekommen", sagt Koautor Luke J. Chang.3
Diese Beobachtungen bestätigten sich in zwei leicht modifizierten Folgestudien und zeigen, wie subtile soziale Interaktionen das Outcome beeinflussen können, ohne dass Worte dafür nötig wären.
"Viel Selbstheilung wird mehr von Erwartungen ausgelöst als von den Medikamenten an sich. Viel von dem, was bei therapeutischen Prozessen geschieht, hat mit der Kommunikation von Erwartung und Hoffnung zu tun, die dem Patienten eingeflößt werden", führt Psychologe Harald Walach von der medizinischen Universität Poznan in Polen in einem Kommentar aus.1 "Diese Erkenntnis ist für Ärzte etwas schmerzlich."
Zu diesem Phänomen nennt er eine Studie von 1964. Damals absolvierten Nagetiere ein Labyrinth schneller, wenn die Beobachter der festen Überzeugung waren, dass diese Rasse auf größere Intelligenz gezüchtet sei.
Die Autoren der Arbeit aus Dartmouth wollen diesen Effekt noch besser untersuchen. Es gibt erstaunlicherweise nicht viele Studien dazu. Wir wissen aus der Praxis, dass das Gleiche auch umgekehrt ankommen kann: wenn wir nicht optimistisch bezüglich des Verlaufes sind.
"Man kann nicht nicht kommunizieren."
Paul Watzlawick, Die 5 Axiome der Kommunikationstheorie
Referenzen:
1. The Placebo Effect Works And You Can Catch It From Your Doctor. NPR.org https://www.npr.org/sections/health-shots/2019/10/21/772086920/the-placebo-effect-works-and-you-can-catch-it-from-your-doctor.
2. Chen, P.-H. A. et al. Socially transmitted placebo effects. Nat Hum Behav 3, 1295–1305 (2019).
3. Provider expectations may affect treatment outcomes. National Institutes of Health (NIH) https://www.nih.gov/news-events/nih-research-matters/provider-expectations-may-affect-treatment-outcomes (2019).