Bei vielen targeted therapies erbringen höhere Dosen ab einem gewissen Punkt keine Steigerung der Antitumoraktivität. Niedrigere Dosen werden noch immer selten diskutiert, obwohl Daten dafür sprechen, dass diese oft genauso wirksam und für Erkrankte und Kostenträger besser verträglich wären.
Wir wollen da anknüpfen, wo wir letztes Mal aufgehört haben. Hier geht es zu Teil 1.
Vier FDA-Mitglieder setzen sich in einem eingangs erwähnten Artikel im 'New England Journal of Medicine' dafür ein, dass Sponsoren nicht automatisch die maximale verträgliche Dosis für moderne Krebsmedikamente auswählen sollten. Nachdem Sie Beispiele aufzeigen, bei denen die Zielsättigung und das Therapieansprechen unter niedrigeren Dosierungen genauso gut waren und/ oder Raten schwerer Nebenwirkungen bedeutend gesenkt werden konnten, resümieren sie: "Die Antwort auf das Dosiswahlproblem kann manchmal lauten: Weniger ist mehr."1
Mehr Wirkstoff einzunehmen als nötig, kann nicht nur gefährlich sein, es ist auch verschwenderisch, ergänzt Prof. Mark J. Ratain, Onkologe und Pharmakologe an der Universität Chicago. Erst kürzlich hatten wir die sprunghaft angestiegenen Ausgaben für Krebsbehandlungen thematisiert. Im Jahr 2018 beliefen sich die weltweiten Kosten für onkologische Medikamente auf rund 150 Mrd. Dollar und sie steigen weiter.2
Betrachten wir das bei fortgeschrittenem Brustkrebs eingesetzte Lapatinib, welches auf nüchternen Magen einzunehmen ist. Ein fettreiches Essen könnte die Wirkstoffmenge, die ins Blut gelangt, um bis zu 325% erhöhen. In einer Publikation im 'Journal of Clinical Oncology' sprach Ratain sich vor über 10 Jahren dafür aus, niedrigere Dosierungen mit gleichzeitiger Nahrungsaufnahme zu untersuchen, da weniger Nebenwirkungen und Kosteneinsparungen von 60% (das Medikament kostete zu der Zeit 2.900 $ monatlich) möglich seien. Solche Studien sind bis heute nicht erfolgt.3
Auch für Ibrutinib (derzeitiger nicht rabattierter jährlicher Listenpreis 174.000 $) hält er Kostensenkungen von bis zu 75% ohne eine Beeinträchtigung der Effektivität für möglich. Experten sind außerdem besorgt über das Risiko für schwere kardiale Nebenwirkungen unter der vollen Dosis. Doch Anreize, niedrigere Dosierungen zu untersuchen, fehlen bei den Herstellern, Geldgeber für solche Studien sind schwer zu finden und viele Ärzte trauen sich nicht, von den zugelassenen Dosierungsschemata abzuweichen (Stichwort: Off-Label-Use). Aufgrund eigener Evidenz des Herstellers, aus der hervorging, dass Patienten mit einem reichlichen Drittel der zugelassenen Dosis noch immer ein maximales Therapieansprechen erreichten, sprach die FDA 2013 eine Empfehlung an den Hersteller aus, niedrigere Dosen zu evaluieren, doch einer solchen Empfehlung müssen Hersteller nicht nachkommen und genau dabei ist es bislang auch geblieben.2
Letztes Beispiel für heute: Abirateron für das metastatische Prostatakarzinom verlangt ebenfalls Nüchternheit und eine Mahlzeit kann seine Konzentrationen um das 5–10-fache und mehr anheben. Ratain und Kollegen konnten in einer klinischen Studie4 zeigen, dass ein Viertel der Dosis, mit einem fettarmen Frühstück eingenommen, einen Erkrankungsprogress genauso wirksam verzögert wie die volle Dosis. Letztere kostet im Original 9.000 $ pro Monat, sodass sich tausende Dollar pro Patient und Monat einsparen ließen. Das National Comprehensive Cancer Network – ein gemeinnütziger Zusammenschluss von 30 US-Krebszentren zur Entwicklung evidenzbasierter Behandlungsrichtlinien – nahm daraufhin niedrig dosiertes Abirateron zu einer Mahlzeit als alternative Behandlungsoption auf.2
Zwar hat die FDA auf all dies mit der Herausgabe eines Empfehlungsdokumentes an die Industrie reagiert, welches umreißt, wie Effekte von Mahlzeiten auf die Pharmakokinetik untersucht werden sollten, bevor weitere entscheidende Studien zur Wirksamkeit angeschoben werden. Doch Ratain sieht darin nicht die Lösung: "Selbst, wenn die Unternehmen die Auswirkungen von Nahrungsmitteln richtig bewerten, sind die Dosierungen immer noch falsch."
Er hält es für wahrscheinlich, dass niedrigere Dosierungen sogar überlegen sein könnten, weil die geringeren Nebenwirkungsraten weniger Therapieabbrüche und Pausen nach sich ziehen. Letztere sind ansonsten ein häufiger Grund für reduzierte Wirksamkeit und schlechtere Outcomes. Wenn mehr Patienten ihre Medikamente so wie verordnet und ohne Unterbrechungen einnehmen können, könnte dies Leben retten.2
Referenzen:
1. Shah, M., Rahman, A., Theoret, M. R. & Pazdur, R. The Drug-Dosing Conundrum in Oncology — When Less Is More. New England Journal of Medicine 385, 1445–1447 (2021).
2. Experts Push for New Cancer Drug Dosing Recommendations. Undark Magazine https://undark.org/2020/12/09/cancer-drugs-less-might-be-more/ (2020).
3. Ratain, M. J. & Cohen, E. E. The Value Meal: How to Save $1,700 Per Month or More on Lapatinib. JCO 25, 3397–3398 (2007).
4. Szmulewitz, R. Z. et al. Prospective International Randomized Phase II Study of Low-Dose Abiraterone With Food Versus Standard Dose Abiraterone In Castration-Resistant Prostate Cancer. J Clin Oncol 36, 1389–1395 (2018).