M. Parkinson: Wann lichtet sich der Dunst?

Parkinson ist die am schnellsten wachsende neurologische Erkrankung weltweit. Eine zunehmende Anzahl von Studien richtet den Blick auch auf Umweltfaktoren, die plausibel zu dem rasanten Anstieg beigetragen haben könnten.

Parkinson ist die am schnellsten wachsende neurologische Erkrankung weltweit. Eine zunehmende Anzahl von Studien richtet den Blick auch auf Umweltfaktoren, die plausibel zu dem rasanten Anstieg beigetragen haben könnten.

Neurologische Erkrankungen sind heute weltweit die führende Ursache für Behinderungen, und die am schnellsten wachsende neurologische Erkrankung ist M. Parkinson. Von 1990 bis 2015 hat sich die Zahl der Menschen mit Parkinson auf über 6 Mio. verdoppelt. Schätzungen zufolge könnte die Zahl bis 2040 17 Mio. erreichen.1
Die Alterung der Bevölkerung spielt zwar eine Rolle, doch sie allein kann diese Trends nicht in diesem Ausmaß erklären. Im Jahr 1855, vierzig Jahre nachdem Dr. James Parkinson die Krankheit zum ersten Mal beschrieb, starben etwa 22 Menschen in England und Wales (von damals insgesamt 15 Mio. Einwohnern) an dieser Krankheit.1
"Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte war Parkinson eine seltene Erkrankung. Die Demographie und die Nebenprodukte der Industrialisierung haben nun jedoch eine Parkinson-Pandemie generiert, die verstärkten Handlungsbedarf, gezielte Planung und neue Ansätze erfordert", resümieren die Autoren einer Übersichtsarbeit im 'Journal of Parkinson's Disease'.1 

In Teil I dieses Beitrages ging es bereits um einen solchen Aspekt. Darin hatten wir mehrere neuere Arbeiten vorgestellt, die nahelegen, dass bereits allein durch Reduzierung der Luftverschmutzung ein relevanter Anteil der Erkrankungen möglicherweise vermeidbar wäre.
Den Einfluss von Umweltfaktoren zu quantifizieren, ist immer knifflig, denn häufig ist es das Zusammenspiel von Faktoren, welches das Gift macht, aber dennoch liefern Untersuchungen einzelner Einflüsse bereits  viele hilfreiche Hinweise. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Latenz bis zur Manifestation einer Erkrankung, wodurch manche Zusammenhänge lange im Dunst versunken bleiben (wie etwa bei Rauchen und Lungenkrebs).

Andere Formen von "Umweltverschmutzung", die eine wesentliche Rolle für die Entwicklung neurologischer Erkrankungen spielen könnten

An dieser Stelle ließe sich mit Überlegungen wie Lösungsmitteln oder Pestiziden fortsetzen (für die es auch spannende Arbeiten zur Assoziation mit verschiedenen Krankheiten gibt). Aber: da diese Themen schon mehr Aufmerksamkeit und Bekanntheit genießen, wollen wir den Blick noch auf zwei Zusammenhänge lenken, über die trotz wachsender und spannender Evidenzlage erstaunlich wenig gesprochen wird.

Ein sehr wichtiges und starkes Review im 'Lancet' thematisierte die wahrscheinlich am schnellsten wachsende anthropogene Umweltexposition seit Mitte des 20. Jahrhunderts: elektromagnetische Strahlung.
Die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern wird inzwischen als Risikofaktor für Neurodegeneration näher untersucht und wurde bereits mit der Entwicklung von Erkrankungen wie M. Parkinson und Alzheimer in Verbindung gebracht.4
Elektromagnetische Felder (EMFs) schädigen Zellen durch oxidativen Zellstress. Dies bestätigt eine aktuelle (und zugleich bisher wohl umfangreichste) Übersichtsarbeit erneut. Sie wurde von der Schweizer Regierung finanziert und von der Universität Bern erarbeitet.2,3

Aus Tierstudien ergaben sich konsistente Hinweise (consistent evidence) auf oxidativen Stress nach hochfrequenter EMF-Exposition, auch in den Frequenzen des Mobilfunks, vor allem im Gehirn und in den Hoden, aber auch in Herz, Nieren und Leber. Diese Beobachtungen wurden mit einer Vielzahl von Zelltypen, Expositionszeiten und Dosen (SAR oder Feldstärken) gemacht, die innerhalb der Bereiche der gesetzlichen Grenzwerte und Empfehlungen lagen.

Auch Alterationen im Metabolismus des Amyloid Precursor Proteins (nach Exposition gegenüber Mobilfunkstrahlung für dreimal 10 Minuten an zwei Tagen) konnten gemessen werden. Des Weiteren wurden eine veränderte Akkumulation von α-Synuclein (das Gleichgewicht verschob sich von der multimeren zur monomeren Form) sowie die Induktion des Zelltodes dokumentiert.4

Auch wenn die Versuchsanordnungen zuweilen noch realitätsgetreuer oder umfassender sein könnten (z. B. hinsichtlich Expositionszeit oder Dosis), zeichnet sich dennoch seit längerem ein alarmierender Trend ab: EMF-Exposition, selbst im niedrigen Dosisbereich, kann das zelluläre oxidative Gleichgewicht empfindlich stören. Die Studien zeigen, dass sehr junge oder alte Individuen weniger effizient hierauf reagieren können, was natürlich auch für andere Einflüsse gilt, die oxidativen Stress verursachen.2,3 Weitere Studien zeigten außerdem auf, dass eine pränatale Belastung durch Hochfrequenzfelder das Risiko einer Fehlgeburt fast verdreifachen kann und dass die wachsende EMF-Exposition das Risiko für Infertilität beim Mann weiter erhöht (Randbemerkung: die durchschnittliche Spermienzahl hat sich global aufgrund diverser Einflüsse bereits halbiert).5

"Ungünstige Bedingungen – wie Krankheiten (Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen) – beeinträchtigen die Abwehrmechanismen des Körpers, einschließlich der antioxidativen Schutzmechanismen, und Personen mit solchen Vorerkrankungen sind eher anfällig für gesundheitliche Auswirkungen."2

Die Belastung durch hochfrequente elektromagnetische Strahlung im Bereich des 1-GHz-Frequenzbandes, das hauptsächlich für die moderne drahtlose Kommunikation genutzt wird, ist bis 2018 gegenüber den niedrigen natürlichen Werten bereits um das 1018-Fache(!) gestiegen.6 Neue Technologien wie "The Internet of Things" und 5G sind dabei, Millionen weiterer Hochfrequenzsender um uns herum hinzuzufügen.

Um kurz den Bogen zurück auf die "klassische" Verschmutzung zu ziehen: die Toxizität einiger Arten von Giftstoffen scheint leider durch EMFs noch verstärkt zu werden – dies gilt insbesondere für Nanopartikel, denen wir auch in zunehmendem Maße ausgesetzt sind.7 Der maximale Verstärkungseffekt wurde auch hier knapp unter 1 GHz beschrieben.

Viele neurologische Erkrankungen nehmen zu – wo liegen die gemeinsamen Nenner?

Auch abseits von Parkinson wird klar: ein umfassenderes Bild muss entstehen, welches Umweltfaktoren und deren Interaktionen mit epigenetischen Mechanismen ebenso mit einbezieht wie Ernährung, Verhalten, Stress, körperliche Aktivität, Schlafmangel, Arbeitsgewohnheiten, Rauchen oder Alkoholkonsum, denn insbesondere bei Erkrankungen, für die noch immer keine kurative Therapie existiert, müsste das Vorsorgeprinzip oberste Priorität haben – man denke an Erkrankungen wie M. Alzheimer. Auch für Alzheimer sind viele solche prinzipiell vermeidbaren Faktoren beschrieben, die mit einem signifikant erhöhten Erkrankungsrisiko einhergehen, darunter wiederum EMFs, Pestizide, Lösungsmittel und Aluminium.8

Dies als letztes Beispiel für heute: wussten Sie, dass Aluminium zu den am häufigsten untersuchten Umwelttoxinen, insbesondere in Bezug auf neurologische Erkrankungen, gehört? In vitro und in vivo Studien konnten einen bedeutenden Einfluss von Aluminium und anderen dreiwertigen Metallionen auf die Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen nachweisen.9 Mehrere Untersuchungen am Menschen haben gezeigt, dass eine hohe Aufnahme von Aluminium (bspw. aus Luft oder Trinkwasser) und die häufige Verwendung aluminiumhaltiger Produkte mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko assoziiert ist.8 Auch löste Aluminium in vitro eine vermehrte Aggregation von Tau aus.9

Bisher weniger beachtete Risikofaktoren für verschiedene neurologische Erkrankungen werden intensiver untersucht

Eine kleine Studie an Gehirnen junger Spender berichtete einen außerordentlich hohen Aluminiumgehalt im Gehirn, und zwar sowohl extrazellulär als auch intrazellulär, wobei Letzteres Neuronen ebenso betraf wie nicht-neuronale Zellen. Das Vorhandensein von Aluminium in Entzündungszellen in den Hirnhäuten, dem Gefäßsystem, der grauen und weißen Substanz war eine bemerkenswerte Beobachtung.10

Aluminiumoxihydroxid, welches von der Pharmaindustrie häufig als Adjuvans eingesetzt wird, besteht aus primären Nanopartikeln, die spontan agglomerieren. Bedenken hinsichtlich seiner Sicherheit kamen auf, nachdem seine unerwartet lange Biopersistenz innerhalb von Immunzellen bei einigen Personen erkannt wurde und mit chronischem Fatiguesyndrom, kognitiver Dysfunktion, Myalgie, Dysautonomie und entzündlichen und autoimmunen Prozessen in Verbindung gebracht wurde. In Mausexperimenten wurde die Aufnahme und der langsame Transport durch Monozyten vom injizierten Muskel zu den lymphatischen Organen und schließlich zum Gehirn dokumentiert. Hierbei scheint ausnahmsweise nicht die Dosis das Gift zu machen, überraschenderweise ist eine selektive Niedrigdosis-Neurotoxizität beschrieben. Hier scheint eher eine besonders kleine Partikelgröße entscheidend dafür zu sein, ob die Aufnahme in die Monozyten und der beschriebene Transportweg stattfinden.11

Studien über solche und viele weitere Zusammenhänge könnten das Gleichgewicht vom herausfordernden Management chronischer Zivilisationskrankheiten mehr zu deren Prävention hin verschieben.

"Wenn sich die Inzidenz einer Krankheit von einer Generation zur anderen ändert, deutet das darauf hin, dass der Schuldige eher in der Umwelt und nicht in etwas Biologischem zu suchen ist"
Prof. Kimmie Ng, Harvard Medical School, Boston (über Krebs, aber der Ausspruch ist m. E. auf viele Gebiete übertragbar)12

Referenzen:
1. Dorsey, E. R., Sherer, T., Okun, M. S. & Bloem, B. R. The Emerging Evidence of the Parkinson Pandemic. J Parkinsons Dis 8, S3–S8 (2018).
2. Schuermann, D. & Mevissen, M. Manmade Electromagnetic Fields and Oxidative Stress—Biological Effects and Consequences for Health. International Journal of Molecular Sciences 22, 3772 (2021).
3. Studie für die Schweizer Regierung weist nach: EMF Ursache vieler Krankheiten durch oxidativen Zellstress. https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail?newsid=1692.
4. Stefi, A. L., Margaritis, L. H., Skouroliakou, A. S. & Vassilacopoulou, D. Mobile phone electromagnetic radiation affects Amyloid Precursor Protein and α-synuclein metabolism in SH-SY5Y cells. Pathophysiology 26, 203–212 (2019).
5. EMF Exposure Linked to Miscarriage and Male Infertility. Mercola.com http://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2020/03/31/emf-exposure-linked-to-miscarriage-male-infertility.aspx.
6. Bandara, P. & Carpenter, D. O. Planetary electromagnetic pollution: it is time to assess its impact. The Lancet Planetary Health 2, e512–e514 (2018).
7. Saliev, T. et al. Impact of electromagnetic fields on in vitro toxicity of silver and graphene nanoparticles. Electromagn Biol Med 38, 21–31 (2019).
8. Olayinka O et al. Toxic Environmental Risk Factors for Alzheimer’s Disease: A Systematic Review. Aging Medicine and Healthcare 10(1), 4–17 (2019).
9. Der Einfluss dreiwertiger Metallionen auf die Entwicklung des  Morbus Parkinson im transgenen Tiermodell.
10. Mold, M., Umar, D., King, A. & Exley, C. Aluminium in brain tissue in autism. Journal of Trace Elements in Medicine and Biology 46, 76–82 (2018).
11. Crépeaux, G. et al. Non-linear dose-response of aluminium hydroxide adjuvant particles: Selective low dose neurotoxicity. Toxicology 375, 48–57 (2017).
12. Colorectal Cancer Rising among Young Adults - National Cancer Institute. https://www.cancer.gov/news-events/cancer-currents-blog/2020/colorectal-cancer-rising-younger-adults (2020).