Die Lungenärzte und die Grenzwerte – ein deutsches Thema, das auch international Beachtung findet.
Wir haben gerade den Google-Check gemacht und "lungenärzte grenzwerte" in die weltgrößte Suchmaschine eingegeben. Nach 0,39 Sekunden wurden ungefähr 226.000 Ergebnisse ausgespuckt, von denen die ersten sechs folgendermaßen betitelt waren:
Lungenärzte kritisieren Grenzwerte: Feinstaub – alles Hysterie ...
(tagesspiegel.de)
Feinstaub - Lungenärzte befürworten Grenzwerte - Gesundheit ...
(sueddeutsche.de)
Hunderte Lungenärzte für Luftreinhaltung – Grenzwerte aber umstritten
(taz.net)
Lungenärzte zweifeln Grenzwerte an: Ist Feinstaub doch ungefährlich?
(t-online.de)
Dieselfahrverbote: Grenzwerte zu hoch? Lungenärzte kritisieren ...
(focus.de)
NOx und Feinstaub - Grenzwerte bei Lungenärzten umstritten ...
(lungenaerzte-im-netz.de)
Die von Ex-DGP-Präsident Prof. Dieter Köhler initiierte Unterschriftenliste (siehe Alles Schwachsinn?!) hat mediale Wellen geschlagen und den Berufsstand der Lungenärzte ins öffentliche Rampenlicht gerückt. Das Thema sorgte und sorgt weiter für viel Gesprächsstoff und etliche Kommentare mit häufig klarer Positionierung für oder gegen Grenzwerte und das mit teils grenzwertiger Wortwahl.
Was wir vermissen: Wo geht es eigentlich um eine – Entschuldigung für das Modewort – nachhaltige Gesamtstrategie zugunsten einer gesünderen Um- und Lebenswelt? Einseitige Dieselfahrverbote kann man als Lösungsansatz in diesem Sinne ja wohl beim besten Willen nicht ernstnehmen, oder? Klar ist nämlich, dass ein Umweltvorteil des Benziners gegenüber dem Diesel keineswegs klar ist. Diesel-PKW sind vor allem auf Langstrecken umweltschonender, während neue, sparsamere Benzinmotoren besonders viel Feinstaub erzeugen. Das Hauptproblem dürfte sein, dass moderne und sauberere Technologien kaum eingesetzt werden. Schön zusammengefasst im WDR-Beitrag Sind Benziner wirklich die besseren Diesel?.
Noch dazu, wenn sie auf einzelne Straßenzüge begrenzt sind und dann vielleicht an der Messstation zu niedrigeren Werten führen, im Umfahrungsbereich dafür zu einer höheren, aber nicht gemessenen Luftschadstoffbelastung …
Den fachlichen Schlagabtausch liefern sich Epidemiologen und Lungenärzte als auch die Lungenärzte untereinander. Das im November 2018 veröffentlichte DGP-Positionspapier zugunsten der Einhaltung der Grenzwerte wurde unter Federführung des Lungenepidemiologen Prof. Holger Schulz vom Helmholtz Zentrum München und der Umweltepidemiologin Prof. Barbara Hoffmann von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf erstellt. Die Unterzeichner um Prof. Köhler haben sich öffentlich gegen diese offizielle DGP-Linie gestellt. Von der abtrünnigen Pneumologen-Hundertschaft hat sich wiederum der Berufsverband öffentlich distanziert.
Die ganze Pneumologen-Welt, so scheint es, schaut jetzt auf Deutschland: "Im deutschen Streit um Grenzwerte für die Luftreinhaltung beziehen jetzt Lungenmedizin-Verbände aus aller Welt Stellung", ist zur Feinstaub-Debatte in der FAZ zu lesen. Dabei geht es um eine Stellungnahme des Forums der Internationalen Lungengesellschaften (FIRS), motiviert durch einen Artikel des für "Natur und Wissenschaft" zuständigen FAZ-Redakteurs Joachim Müller-Jung. Unter dem Titel "Was treibt die Lungenärzte an?" poltert Müller-Jung, nicht gerade frei von Widersprüchlichkeiten in seinem Text (worauf auch einige der Leserkommentare hinweisen), gegen die Unterschriftenaktion und moniert, dass "ausgerechnet Ärzte, die die Gesundheit auch der Schwächsten im Blick haben sollen, diese Entwicklung in ihrem ureigenen Zuständigkeitsbereich verkennen".
Laut Ärzte Zeitung online wird FIRS derzeit übrigens von Prof. Tobias Welte (Hannover) angeführt, der gegenwärtig als ERS-Präsident amtiert. Vielleicht hat das ja etwas mit der prompten internationalen Reaktion zu tun.
Der neueste öffentliche Diskussionsbeitrag von lungenärztlicher Seite kommt von Niedersachsens Ärztekammerpräsidentin Dr. Martina Wenker, die auch als Vizepräsidentin der Bundesärztekammer fungiert. Die Pneumologin wurde gerade im Deutschen Ärzteblatt mit der Forderung nach einem umfassenden Konzept zur Eindämmung der negativen gesundheitlichen Auswirkungen von Klimawandel und Umweltverschmutzung zitiert. Wenker wies darauf hin, dass sich die Luftverschmutzung nicht allein mit Dieselfahrverboten in den Städten lösen lässt.
Wohl wahr! Hier dürfte auch des Pudels Kern der Streitdebatte zu finden sein. Dass die Luft, die wir einatmen, möglichst wenig luftschadstoffbelastet sein sollte, wird niemand verneinen, auch Prof. Köhler und unterzeichnende Kollegen nicht. Ein Eintreten für eine verbesserte Luftqualität gebietet schon der gesunde Menschenverstand, ohne dass man groß die wissenschaftliche Evidenz bemühen müsste. Beides, Menschenverstand und Evidenz, lassen andererseits aber auch aktionistische Einzelmaßnahmen aufgrund politisch festgesetzter Grenzwerte als wenig sinnvoll erscheinen. Nur nebenbei bemerkt, mit Blick auf die besonders vulnerable Gruppe der Asthma-Patienten, von denen viele beruflich tätig sind. Wie passt es da zusammen, dass am Arbeitsplatz weit höhere Grenzwerte als im Straßenverkehr erlaubt sind?
Bei Feinstaub und Stickstoffoxiden ist in Deutschland laut Umweltbundesamt ein langjähriger Trend nach unten zu verzeichnen. Allerdings ist hier erstens auch noch Luft nach oben, gilt das zweitens bei weitem nicht für alle potenziell toxischen Substanzen und werden drittens klimabedingt neue Herausforderungen auf uns zu kommen. Wir – und damit sind Sie und alle (lungen-) ärztlichen Kollegen gemeint – sollten versuchen, mit unserer gesamten Expertise und im Rahmen unserer Möglichkeiten an einem gesünderen Umgang mit der Lebensressource Luft mitzuwirken.
Ein kleinkariertes, politisch und/oder lobbyistisch und/oder ideologisch motiviertes Gerangel um einseitige Maßnahmen und deren vorhandene oder fehlende wissenschaftliche Basis reicht da nicht. Es bedarf tatsächlich einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion, in der ein Haltungs- und Handlungsrahmen entworfen wird, der die Bezeichnung "Strategie" verdient.
In den Leserkommentaren zum News-Beitrag über die Köhler-Stellungnahme findet sich der Hinweis, dass die mehr als 100 Unterzeichner weniger als 3% der über 4.000 DGP-Mitglieder ausmachen, die angeschrieben wurden. Das ist richtig. Aber heißt das auch, dass die schweigende Masse von der Sinnhaftigkeit der Grenzwerte und ihrer Einhaltung durch Fahrverbote überzeugt ist?
Und was ist Ihre Meinung?
Abkürzungen:
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
ERS = European Respiratory Society