Pathologische Beziehungen zwischen Lunge und Darm sind häufig. Das gilt vor allem für Reflux und Asthma bzw. COPD.
Wie im letzten Beitrag angesprochen, kann sich eine Bronchiektasie (und auch eine chronische Bronchitis) als seltene Komorbidität bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) manifestieren. Deutlich häufiger als eine solche primäre Lungenbeteiligung ist freilich ein sekundärer pulmonaler Schaden. Einerseits als Folge der medikamentösen Darmbehandlung, worauf etwa bei Sulfasalazin, Methotrexat oder TNFα-Blockern zu achten ist. Andererseits durch das erhöhte Risiko für Venenthrombosen und Lungenembolien, das bei stationären Aufenthalten der CED-Patienten grundsätzlich eine Thromboseprophylaxe erforderlich macht.
Aber auch jenseits dieser indirekten Form sind die pathologischen Beziehungen zwischen Lunge und Darm sehr häufig. Das gilt vor allem für den Reflux.
"Das Krankheitsbild der refluxassoziierten Atemwegserkrankungen ist in Deutschland vielerorts noch relativ unbekannt. Man weiß heute, dass eine Vielzahl von respiratorischen Störungen mit einem gastroösophagealen Reflux in Zusammenhang steht. Patienten mit chronischer Laryngitis, Asthma und rezidivierender Bronchitis leiden gehäuft an einem pathologischen Reflux, und es ist immer wieder erstaunlich, dass bei einer langjährigen Atemwegskrankheit nicht nach Refluxsymptomen gefahndet wird."
So stand es vor 20 Jahren im Deutschen Ärzteblatt1. Wir gehen stark davon aus, dass die Unkenntnis inzwischen abgenommen hat und bei Patienten mit respiratorischen Beschwerden häufiger auch an die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) gedacht wird. Sei es bei chronischem Husten, bei obstruktiven Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD oder bei interstitiellen Lungenerkrankungen.
Auf den obligaten Abklärungsbedarf von GERD bei Patienten mit chronischem Husten hat kürzlich Prof. Michael Kreuter (Heidelberg) beim diesjährigen ERS in Mailand hingewiesen2. Verschiedene Mechanismen kommen für die Erklärung der refluxbedingten Pathophysiologie im Respirationstrakt in Frage. Neben schleimhautschädigenden Mikro-Aspirationen wird eine Sensibilisierung des Nervus vagus aufgrund der wiederholten Reflux-Episoden diskutiert. Die nervale Stimulation dürfte eine bronchiale Überempfindlichkeit verstärken.
Auch die umgekehrte Richtung ist denkbar: Husten und Atemwegsobstruktion bzw. die dagegen eingesetzten Medikamente können wohl die Entwicklung einer Refluxkrankheit begünstigen.
Zu den Häufigkeitszahlen: In der von Kreuter zitierten ECLIPSE-Studie gaben 574 von 2.135 Kohortenpatienten mit COPD (26%) anamnestisch eine Refluxerkrankung zu Protokoll3. Zwar waren mehr Frauen betroffen, Geschlechterunterschiede bei den Risikofaktoren waren aber nicht zu ermitteln. Mit dem Mortalitätsrisiko war die GERD-Komorbidität nicht assoziiert, wohl aber mit einer erhöhten Gefahr von mittel- bis schwergradigen sowie von krankenhauspflichtigen Exazerbationen. Bei Patienten mit GERD, die Säureblocker (Protonenpumpenhemmer/H2-Rezeptorantagonisten) erhielten, war das Exazerbationsrisiko um 58% erhöht. Wenn nur eine Reflux-Anamnese oder eine Säureblocker-Therapie berichtet wurde, lag die Risikosteigerung bei 21 bzw. 33%.
Beim Asthma mischt der saure Reflux wohl noch häufiger mit, wobei auch hier das Henne-Ei-Problem ungelöst ist und theoretisch ein Ablauf in beide Richtungen plausibel ist. Einige Antiasthmatika werden zudem mit einer GERD-Provokation in Verbindung gebracht, so Kreuter.
Den engen Zusammenhang zwischen GERD und Asthma thematisiert auch ein soeben online publizierter Beitrag von Prof. Adrian Gillissen (Bad Urach) im Pneumologen4. Die GERD-Prävalenz wird in der erwachsenen Bevölkerung auf bis zu 30% geschätzt, die Asthma-Prävalenz bekanntermaßen auf 5-10%. "Basierend auf 24-Stunden-pH-Metrie-Messungen leiden bis zu 80% aller Asthmapatienten an einem GERD", schreibt Gillissen.
Selbst wenn einem die pathophysiologischen Zusammenhänge bewusst sind, ist es leider nicht leicht, daraus diagnostisches oder therapeutisches Kapital zu schlagen. Denn häufig kommt der Reflux asymptomatisch daher, ohne Sodbrennen, saures Aufstoßen, Regurgitation oder extraösophageale Symptome (chronischer, refluxbedingter Husten, Laryngitis-Zeichen oder Thoraxschmerz). Andererseits fußt die GERD-Diagnose maßgeblich auf den vom Patienten berichteten Beschwerden, während ein diagnostischer Goldstandard fehlt.
Husten in den frühen Morgenstunden ist sowohl für GERD als auch Asthma typisch, die klinische Differenzierung entsprechend schwierig. Ein vorwiegend nächtliches Asthma kann auf eine Reflux-Ätiologie hinweisen. Diagnostische Verfahren wie die Magenspiegelung, die 24-Stunden-pH-Metrie und die Ösophagusmanometrie haben weder eine gute Sensitivität noch Spezifität. Bei Alarmsymptomen ist eine obere Gastroduodenoskopie natürlich Pflicht.
In der Literatur findet sich die Empfehlung zur PPI-Therapie mit diagnostischer und gleichzeitig therapeutischer Zielsetzung als kosteneffektive und leicht verfügbare Option. Allerdings ist dies, auch in prophylaktischer Hinsicht, nur bei Asthma-Patienten sinnvoll, die tatsächlich eine Reflux-Symptomatik aufweisen. In diesem Fall ist auf eine ausreichende Dauer des Therapieversuchs zu achten: Gelingt auch nach acht Wochen Pharmakotherapie in normaler Dosierung keine ausreichende Symptomkontrolle und/oder Ösophagitis-Abheilung, wird nochmals acht Wochen mit doppelter Dosis behandelt. Erst dann ist von einem Therapieversagen auszugehen und eine klärende Diagnostik angezeigt.
Gemäß GINA-Empfehlung gilt GERD als wichtige Differentialdiagnose bei Asthma-Patienten, ein asymptomatischer Reflux aber nicht als wahrscheinliche Ursache für ein schlecht kontrolliertes Asthma. Ein entsprechendes Screening halten die Experten deshalb nicht für erforderlich. Die primäre Reflux-Therapie besteht in einer Lebensstilintervention wie etwa einem gesünderen Ernährungsverhalten.
Gillissen führt in seinem Beitrag noch Studien an, die folgende Befunde ergaben:
Bei interstitiellen Lungenerkrankungen wie der idiopathischen Lungenfibrose (IPF) sind die Interaktionen mit dem Reflux noch wenig erforscht. Das letzte Wort für heute überlassen wir in diesem Zusammenhang dem Heidelberger Pneumologen Kreuter: Er plädiert dringend für Studien, in denen untersucht werden sollte, ob eine säurehemmende Therapie die Prognose von IPF-Patienten mit Reflux verbessern hilft. Es gibt wohl erste Hinweise darauf, dass sich mit der Reflux-Behandlung das Exazerbationsrisiko bändigen lässt.
Referenzen:
1. Jaspesen D, Micklefield G. Dt Ärztebl 1997;94:A-915-6
2. Bronchiektasen bei chronisch entzündlicher Darmerkrankung: Seltene Komorbidität erfordert rasches Handeln. Pneumo News 2017;9:41-2
3. Benson VS et al. Associations between gastro-oesophageal reflux, its management and exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Respir Med 2015;109(9):1147-54. doi: 10.1016/j.rmed.2015.06.009
4. Gillissen A. Gastroösophagealer Reflux als Auslöser von Husten und Asthma. Pneumologe 2017. https://doi-org.lib.ezproxy.ust.hk/10.1007/s10405-017-0154-6
Abkürzungen:
ERS = European Respiratory Society (bzw. deren Jahreskongress)
GINA = Global Initiative for Asthma
PPI = Protonenpumpen-Inhibitoren