ICS statt SABA – aber nicht immer und (vielleicht) nicht bei jedem

In die Therapie(empfehlungen) bei mildem Asthma kommt Bewegung …

In die Therapie(empfehlungen) bei mildem Asthma kommt Bewegung …

Es gibt sie also doch, eine deutsche Reaktion auf den „Landmark Change“ im GINA-Update 2019: "Wir können jetzt eine Statue vom Sockel stoßen: SABA als Bedarfsmedikation", wird Prof. Roland Buhl (Universitätsmedizin Mainz) in einem Medscape-Beitrag vom 28. Mai zitiert. Wir haben sicherheitshalber nochmal nachgegoogelt (bevor wir von Leserseite darauf gestoßen werden) und – neben einem aktuellen Beitrag in Pneumo News – diesen Kommentar entdeckt. 

Versorgungsrealität: Not- und Todesfälle auch bei mildem Asthma

Buhl ist als Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der Global Initiative for Asthma für den Umsturz mitverantwortlich. Da dürften wohl Erfahrungen aus der eigenen Klinik und vielleicht auch solche aus der ambulanten Praxis eingeflossen sein, die in dem Beitrag auch erwähnt werden: Bei SABA als Monotherapie lässt mit häufigem Einsatz die Wirkung nach, weil die Betarezeptoren herunterreguliert werden. Und weil die Bronchodilatation nichts an der inflammatorischen Komponente der Asthma-Erkrankung ändert, schreitet die eosinophile Atemwegsentzündung voran und die Hyperreagibilität nimmt zu: "Ab 3 SABA-Verordnungen pro Jahr steigt die Zahl der Asthma-Notfälle, ab 12 Verordnungen die Sterberate."

Das Schema zur Asthma-Stufentherapie für Erwachsene aus der S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma (S. 35, Abb. 2A) sieht allerdings noch so aus:

Asthma-Stufentherapie.png

Die Änderung im gerade erfolgten GINA-Update kann man, dank der vorbildlichen Webpräsenz rund um die GINA Reports in der dort downloadbaren Powerpoint-Präsentation What’s new in GINA 2019? schön nachvollziehen:

Bis jetzt (Folie 7): 

Gina 1.png

Ab jetzt (Folie 9):

Gina 2.png

Auf welcher Überlegung und welcher Evidenz gründet dieses Umdenken der GINA-Experten?

Die Überlegung: Asthma liegt immer eine Entzündung der Atemwege zugrunde, von der ein ständiges Exazerbationsrisiko ausgeht, das selbst bei leichtem Asthma eine tödliche Gefahr bedeuten kann (siehe oben).

Die Evidenz: Im vergangenen Jahr zeigten die Doppelblindstudien SYGMA 1 und 2 mit jeweils um die 4.000 Patienten auf Therapiestufe 2 mit persistierendem, mildem Asthma: Die Bedarfsmedikation mit Budesonid/Formoterol-Kombi ist in diesem Fall zur Exazerbationsvermeidung so effektiv wie eine Budesonid-Erhaltungstherapie, setzt die Patienten aber nur einem Bruchteil der ICS-Exposition aus, wie sie bei täglicher Inhalation erfolgt (17% bei SYGMA 1 und 25% bei SYGMA 2).1,2 Dafür sorgte die ICS-haltige Dauertherapie für eine bessere Asthmakontrolle. Die alleinige SABA-Bedarfsmedikation schnitt in einem dritten Studienarm von SYGMA 1 in jeder Hinsicht am schlechtesten ab.

Drei Studien zur Budesonid/Formoterol-Fixkombi: ICS im Huckepack

Überraschung? Wohl kaum. Im vergangenen Jahr kommentierte Prof. Klaus Rabe (LungenClinic Großhansdorf) in einem Medscape-Beitrag: "Ich bin ein wenig verwundert darüber, dass es die beiden Studien im Jahr 2018 ins NEJM geschafft haben. Denn weder die Fragestellung noch die Ergebnisse sind neu oder gar überraschend."

Das Acronym "SYGMA" steht übrigens für "Symbicort Given as Needed in Mild Asthma" und damit ist auch klar, wer die beiden, jeweils ein Jahr laufenden Studien finanziert hat: der Symbicort®-Hersteller AstraZeneca. Trotz des strikten RCT-Settings betrug die Therapieadhärenz nur 60–80%. Wie sieht das dann erst im realen Praxisalltag aus, in dem sich Patienten mit mildem Asthma häufig gerne nur auf ihren SABA-Reliever verlassen und der Erhaltungstherapie untreu werden?

Genau darum ging es in der Real-Life-Studie Novel START, gesponsert von AstraZeneca und dem neuseeländischen Gesundheitsforschungsrat (Health Research Council).3 Die einjährige, offene Phase-III-Studie wurde beim ATS-Kongress 2019 in Dallas präsentiert und zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Knapp 700 Patienten mit sehr mildem Asthma, für die laut GINA (vor dem jetzigen Update) eigentlich eine SABA-Bedarfstherapie gereicht hätte, erhielten in drei Studienarmen: 1) Salbutamol als Reliever und Budesonid als Controller vs. 2) Budesonid/Formoterol als Reliever vs. 3) Salbutamol als Reliever.

Die Ergebnisse dieses Vergleichs zwischen Erhaltungstherapie und zwei Arten von Bedarfsmedikation:

Die mittels FeNO-Werten gemessene Atemwegsentzündung nahm in beiden ICS-Armen gleichermaßen ab, während sie unter SABA allein erwartungsgemäß unbeeinflusst blieb. Die mittlere Budesonid-Inhalationsdosis lag bei bedarfsmäßiger Anwendung der Fixkombi um mehr als die Hälfte niedriger als bei der ICS-Erhaltungstherapie (107 ± 109 μg vs. 222 ± 113 μg pro Tag). Alles elektronisch erfasst, versteht sich.

Die neue GINA-Empfehlung wird durch diese Resultate gestützt. SABA bei Bedarf als alleinige Behandlungsoption scheidet also für die Zukunft aus. Für die pneumologische Praxis sollte dies keine große Neuerung bedeuten. Das betrifft auch die nur bedarfsmäßige statt dauerhafte ICS-Medikation, die gerade Patienten mit saisonalen Beschwerden häufig empfohlen werden kann.

ICS von Anfang an – wirklich für alle?

Aber profitieren wirklich alle Patienten mit mildem persistierendem Asthma von ICS?

Dieser Frage widmete sich eine andere in Dallas präsentierte Studie. Sie ist mit knapp 300 Patienten kleiner, trägt dafür aber die schöne Bezeichnung SIENA (Steroids in Eosinophil Negative Asthma) und wurde vom US-amerikanischen National Heart, Lung, and Blood Institute finanziert.4  Hier ging es zunächst um die Stratifizierung der Patienten anhand der Eosinophilenzahl im Sputum (Cut-off 2 %). Anschließend erfolgte im randomisierten Crossover-Design mit drei Studienphasen à 12 Wochen die Inhalation von ICS (Mometason), LAMA (Tiotropium) oder Placebo.

Bemerkenswert: Nur 74 Teilnehmer (27%) hatten mehr als 2% Eosinophile im Sputum und wiesen auch darüber hinaus das klassische Bild des Th2-high-Asthmas mit Bluteosinophilie, höherem FeNO und häufigerem Allergie-Nachweis auf. Wenig überraschend: Bei diesen Patienten schnitt das ICS besser ab als das LAMA und das Placebo. Interessanter: Bei Patienten mit einem Eosinophilen-Anteil im Sputum unterhalb des Cut-offs erwiesen sich ICS und LAMA als ähnlich wirksam und dem Placebo jeweils deutlich überlegen.

Künftig eventuell LAMA als Alternative bei nicht-eosinophiler Atemwegsentzündung?

Hier kündigt sich ein erneutes Infragestellen an, das nach der Verabschiedung von SABA als präferierter Option auf Stufe 1 am 100%-Nimbus von ICS kratzt und die frühzeitige Differenzierung nach dem Inflammationstyp in den Raum stellt. Vielleicht wird ja irgendwann die Nichtadhärenz von Patienten mit mildem persistierendem Asthma, aber ohne (nachweisbare) Th2-Entzündung von einem neuen GINA-Update nachträglich legitimiert.

Der Erstautor der SIENA-Studie, Prof. Stephen Lazarus (University of California, San Francisco) meint dazu jedenfalls: "Patienten mit leichtem Asthma lassen das ICS weg, wenn sie sich gut fühlen oder weil sie Angst vor Nebenwirkungen haben oder finden, dass das Medikament gar nicht wirkt."

Auf die mögliche künftige Relevanz einer Biomarker-geleiteten Therapie nicht nur bei schwerem Asthma, sondern auch bei den milden Formen, weist ein aktuelles Editorial begleitend zu den NEJM-Publikationen hin.5 Der Autor sieht Bedarf an größeren, ausreichend gepowerten Studien, um die Rolle von LAMAs als effektive Alternative bei persistierendem Asthma ohne eosinophile Atemwegsinflammation zu durchleuchten.   

SABA noch in anderer Indikation bedeutsam

Der Vorsitzende der britischen Primary Care Respiratory Society (PCRS), Dr. Noel Baxter, würdigte in einer Pressemitteilung den aktuellen GINA-Paradigmenwandel als "hilfreiche Überprüfung der neuesten Evidenz" und merkte mit Blick auf den SABA-Abschied an: "Es ist jedoch wichtig, daran zu denken, dass SABA bei COPD und in der Notfalltherapie immer noch von großem Wert ist."

Referenzen:
1. O’Byrne PM et al. Inhaled Combined Budesonide-Formoterol as Needed in Mild Asthma. N Engl J Med 2018;378:1865-76. doi:10.1056/NEJMoa1715274
2. Bateman ED et al. As-Needed Budesonide–Formoterol versus Maintenance Budesonide in Mild Asthma. N Engl J Med 2018;378:1877-87. doi:10.1056/NEJMoa1715275
3. Beasley R et al. Controlled Trial of Budesonide-Formoterol as Needed for Mild Asthma. N Engl J Med 2019;380:2020-30. doi:10.1056/NEJMoa1901963
4. Lazarus SC et al. Mometasone or Tiotropium in Mild Asthma with Low Sputum Eosinophil Level. N Engl J Med 2019;380:2009-19. doi:10.1056/NEJMoa1814917
5. Wong GWK. How Should We Treat Patients with Mild Asthma? N Engl J Med 2019. dDoi:10.1056/NEJMe1905354

Abkürzungen:
ATS = American Thoracic Society
FeNO = fraktioniertes exhaliertes Stickstoffmonoxid
ICS = inhalative Kortikosteroide
LABA = langwirksames Beta-2-Sympathomimetikum (long acting beta-2 agonist)
LTRA = Leukotrienrezeptor-Antagonist
RABA = schnellwirksames Beta-2-Sympathomimetikum (rapid acting beta-2 agonist)
RCT = randomisierte kontrollierte Studie (randomized controlled trial)
SABA = kurzwirksames Beta-2-Sympathomimetikum (short acting beta-2 agonist)