Husten-Psychosomatik, Hustenmittel-Ineffizienz und AR-Therapeutika-Wiedererstattung: drei Eier aus dem österlichen Blog-Nest.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir hoffen, Sie konnten das vielerorts herrliche Oster-Wetter genießen und sich nach erfolgreicher Suche das ein oder andere schöne Ei ins Nest legen. Wir ziehen nachfolgend drei Fundstücke aus dem Körbchen. Über Ihre Beigaben und weitere informationelle Preziosen sowie Anregungen und Fragen bzw. anregende Fragen freuen wir uns natürlich immer.
Herzlichst, Ihre
Dr. Hubertus Glaser & Dr. Jörg Zorn
Kollegin/Kollege "JaGo" stellte in ihrem/seinem Kommentar zum letzten Beitrag über die neue Husten-Leitlinie die berechtigte Frage: "Welche Rolle spielt die Psychosomatik in der Hustendiagnostik und -therapie? Findet sie in der neuen Leitlinie überhaupt einen Platz?"
Ja, das tut sie. Auf Seite 24 (von 38) findet sich das Kapitel 6.11 "Somatisches Husten-Syndrom (früher psychogener oder habitueller Husten) und Husten-Tic". Dort heißt es: "Entsprechend Empfehlungen von Psychiatern, sollte die Bezeichnung psychogener Husten durch die Bezeichnung somatisches Husten-Syndrom ersetzt werden, d. h. psychogene Belastung wird als Husten somatisiert. Ein somatisches Husten-Syndrom liegt vor, wenn der Husten das Leben des Patienten erheblich beeinträchtigt, er misst dem Husten eine übertriebene Bedeutung bei, ist ängstlich und beschäftigt sich mit dem Husten überproportional. (…) Ein Tic-Husten kann bei Kindern isoliert auftreten, ggf. auch im Rahmen eines Tourette-Syndroms."
Damit folgen die deutschen Leitlinien-Experten ihren US-amerikanischen Kollegen aus dem Chest Expert Panel, die 2015 im Rahmen einer systematischen Literaturrecherche keine validierte Definition des psychogenen bzw. habituellen Hustens ermitteln konnten und deshalb die neuen Begrifflichkeiten vorschlugen.1
Und was kann man damit in der Praxis anfangen? Wenig bis nichts. Bei Patienten mit chronischem Husten sollte man sich durch den auf Seite 32 der Husten-Leitlinie abgebildeten diagnostischen Algorithmus arbeiten. Findet sich keine Ursache, ist der chronisch idiopathische Husten (CIC) infolge Hypersensitivität des Hustenreflexes differenzialdiagnostisch vom somatischen Husten-Syndrom abzugrenzen, das laut Leitlinie nur selten auftritt.
Der chronisch idiopathische Husten kommt häufiger bei Frauen kurz nach der Menopause vor (Verhältnis Frauen: Männer = 2 : 1). Bei der Differenzialdiagnose helfen Husten-Charakteristika leider nicht weiter. Auch die Diagnose einer Depression und/oder Angststörung bedeutet nicht des Rätsels Lösung, "da chronischer, lästiger Husten jeglicher Genese per se zur Depression führen kann. Eine psychiatrische Mitbeurteilung kann erforderlich sein." Zur Therapie heißt es schlicht und bündig: "Psychiatrische Interventionen".
Fazit: Auch im Jahr 2019 spielen psychosomatische Aspekte des Hustens in der pneumologischen Leitlinie eine untergeordnete Rolle. In der täglichen Behandlungspraxis sind sie dafür umso bedeutender. Als Pneumologe sollte man sich ungeachtet dessen um eine etwas "ganzheitlichere" Betrachtung und Betreuung seiner Patienten bemühen, nicht nur, indem man nach getaner, aber frustraner diagnostischer Arbeit den Psychotherapeuten bzw. Psychiater ranlässt.
Apropos "frustran": Bevor man diagnostisch das Handtuch wirft, sollte man noch über mögliche Fehlerquellen nachdenken. Als solche werden in der Leitlinie aufgeführt:
Es kann sich ein weiterer Bedarf an interdisziplinärer Kooperation ergeben. Etwa, wenn eine Rhinosinusitis zu einem überempfindlichen Hustenreflex führt. "Diese soll gemeinsam mit dem Hals-Nasen-Ohrenarzt festgestellt und behandelt werden", sagt dazu der Erstautor der aktualisierten DGP-Leitlinie, Dr. Peter Kardos von der Lungenpraxis an der Klinik Maingau in Frankfurt am Main (DGP-Pressemitteilung).
Wir zitieren nochmal Blogleser/in "JaGo": "Mir will nicht so recht einleuchten, dass fancy neue Wirkstoffe eingesetzt werden sollen, ohne dass uns klar ist, woher der Husten kommt. (…) Natürlich ist es völlig legitim, Symptomkontrolle zu betreiben, dennoch bin ich ein großer Fan davon, nach Ursachen zu suchen."
Dieser Bemerkung können wir uns nur anschließen – und dabei den Blick auch auf alte Wirkstoffe lenken, die (immer noch) gegen den erkältungsbedingten Husten verschrieben werden. In einem 2017 publizierten Review3 wurden sechs randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) und vier Interventionsstudien mit insgesamt knapp 6.500 Patienten zur medikamentösen Husten(dauer)beeinflussung ausgewertet. Die resultierenden Empfehlungen für den Einsatz häufig verordneter bzw. gekaufter Hustenmittel sind ernüchternd:
Keine Auferstehung, aber immerhin eine Wiedererstattung ist im Bereich der allergischen Rhinitis zu vermelden: Seit November 2018 ist eine Änderung der Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie (OTC-Übersicht) in Kraft, laut der die seit Oktober 2016 nicht mehr verschreibungspflichtigen nasalen Kortikoide wieder auf einem Kassenrezept verordnet werden können, und zwar solche mit den Wirkstoffen Beclomethason, Fluticason und Mometason "zur Behandlung bei persistierender allergischer Rhinitis mit schwerwiegender Symptomatik".
Dabei muss die als schwerwiegend einzustufende Symptomatik gemäß G-BA-Beschluss "an mindestens 4 Tagen pro Woche und über einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen" auftreten.
Die meisten AR-Patienten berichten über eine mäßige bis schwere Krankheitsausprägung, die nach der ARIA-Klassifikation folgendermaßen definiert ist:
Zu verdanken ist diese positive (Rück-) Entwicklung dem Intervenieren der drei Fachgesellschaften DGHNO-KHC, DGAKI und AeDA. Sie konnten nach erfolgter Stellungnahme zur letzten Arzneimittelverschreibungsverordnungs-Novelle (AMVV) einen Termin mit dem G-BA vereinbaren und bei diesem Treffen das Gremium davon überzeugen, dass es sich bei der allergischen Rhinitis um "keine Bagatellerkrankung" handelt, wie Prof. Martin Wagenmann vom Universitätsklinikum Düsseldorf Ende letzten Jahres in einem Interview schilderte.
Patienten mit vorübergehenden oder leichten Beschwerden müssen intranasale GK weiterhin selbst bezahlen. Erfreulich ist dafür, dass "durch die schlüssige Argumentation der Fachgesellschaften" auch wieder eine Verordnungsfähigkeit von Antihistaminika bei Patienten mit persistierender AR und schwerwiegender Symptomatik erreicht werden konnte. Dazu heißt es in der Beschlussformulierung: "Eine Verordnungsfähigkeit von oralen oder nasalen Antihistaminika ist nur in Kombination mit intranasalen Kortikoiden und erst dann gegeben, wenn eine topische nasale Behandlung mit Glukokortikoiden nicht ausreichend ist." Näheres ist einer Mitteilung der KVNO zu entnehmen.
Referenzen:
1. Kardos P et al. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten.Pneumologie 2019;73(3):140-77
2. Vertigan AE et al. Somatic cough syndrome (previously referred to as psychogenic cough) and tic cough (previously referred to as habit cough) in adults and children: Chest guideline and expert panel report. Chest 2015;148:24-31
3. Malesker MA et al. Pharmacologic and nonpharmacologic treatment for acute cough associated with the common cold. Chest 2017;152:1021-37
Abkürzungen:
AeDA = Ärzteverband Deutscher Allergologen e. V.
AR = allergische Rhinitis
DGAKI = Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) e. V.
DGHNO-KHC = Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V.
GK = Glukokortikoide
KVNO = Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
NSRA = nichtsteroidale Antirheumatika